Nitro- oder Aminoverbindungen des Benzols oder seiner Homologe
Erkrankungen durch Nitro- oder Aminoverbindungen des Benzols oder seiner Homologe oder ihrer Abkömmlinge
Erkrankungen durch Nitro- oder Aminoverbindungen des Benzols oder seiner Homologe oder ihrer Abkömmlinge sind von der BK-Nr. 1304 erfaßt. Gefährdungen kann es in der chemischen Industrie, insbesondere Farbstoff- und Sprengstoffindustrie, in pharmazeutischen Betrieben geben sowie bei der Fertigung fotografischer Produkte, in Imprägnierbetrieben, Pelzfärbereien, Seifen-, Parfümerie-, Riechstoff- und Schuhcremefabriken. Die Stoffe können in Dampf oder Staub über die Atemwege oder durch Hautresorption aber auch über die Verdauungswege aufgenommen werden. Auffallend kann eine blaugraue (schiefergraue) Färbung der Haut sein. Die akute Einwirkung hoher Dosen kann bis zum Tod im Coma führen. Nitro-, aber auch Aminoverbindungen des Benzols können die Leber schädigen. Nach längerer Einwirkung bestimmter Aminoverbindungen des Benzols können Schleimhautveränderungen der Harnwege, Blasenpapillome und Blasenkrebs entstehen.
Berufskrankheit Nr. 1304
Merkblatt zu BK Nr. 5 der Anl. 1 zur 7. BKVO
(Bek. des BMA v. 12. 6. 1963, BArbB1 Fachteil Arbeitsschutz 1963, 130)
I. Vorkommen und Gefahrenquellen
Wichtige hierhergehörende Nitro- und Aminoverbindungen des Benzols, seiner Homologen oder deren Abkömmlinge sind beispielsweise:
1. Nitrobenzol - C6H5.NO2 - (Mirbanöl), Dinitrobenzol, Di- und Trinitrotoluol, Trinitrophenol (Pikrinsäure) und Dinitroorthokresol;
2. Aminobenzol - C6H5. NH2 - (Anilin), Toluidine und Paraphenylendiamin (z. B. Ursol);
3. Paranitroanilin - NO2 . C6H4 . NH2 - und Tetranitromethylanilin (Tetryl).
Gefahrenquellen sind bei der Herstellung, Verarbeitung, Verwendung oder beim Umgang mit diesen Stoffen gegeben. Demnach kann dies z. B. für bestimmte Zweige der chemischen Industrie, insbesondere Farbstoff- und Sprengstoffindustrie, für pharmazeutische Betriebe, für die Fertigung fotografischer Produkte, Imprägnierbetriebe, Pelzfärbereien, Seifen-, Parfümerie-, Riechstoff und Schuhcremefabriken zutreffen. Nitrolacke (mit Nitrozellulose hergestellte Lacke) und Nitrosegase (Mischung von NO, NO2, N2O4 und N2O3) sind keine Nitroverbindungen und fallen daher nicht unter Nr. 5 der Anlage zur 7. Berufskrankheiten-Verordnung.
II. Aufnahme und Wirkungsweise
Die genannten Stoffe können in Dampf oder Staub über die Atemwege oder durch Hautresorption, aber auch über die Verdauungswege, aufgenommen werden. Bei einer Reihe dieser Stoffe wird der Blutfarbstoff, das Hämoglobin, in Hämiglobin (auch Methämoglobin genannt) umgewandelt. Dies geschieht durch Oxydation des im Hämoglobin enthaltenen 2wertigen Eisens in 3wertiges Eisen. Dadurch wird die Überträgerfunktion des Hämoglobins gestört; Hämoglobinbildung bewirkt Sauerstoffmangel im Gewebe. Nach Einwirkung größerer Mengen der genannten Stoffe werden zudem die Erythrozyten geschädigt. Durch oxydative Spaltung des Porphyrinringes entstehen Verdoglobine, z. B. Sulfhämoglobin.
III. Krankheitsbild und Diagnose
Die akute Einwirkung der Mehrzahl dieser Stoffe führt zu Müdigkeit, Schwäche, Übelkeit, Kopfschmerzen, Schweißausbrüchen und Dyspnoe. Das in die Hautcapillaren gelangende Hämiglobin verursacht eine blaugraue (schieferblaue) Färbung der Haut. Diese findet sich zunächst an Ohrläppchen, Fingernägeln, Lippen, Wangen und Nasenspitze. Bei schweren Erkrankungsfällen tritt neben einer graublauen bzw. intensiven Blaufärbung aller Schleimhäute eine Cyanose am ganzen Körper auf. Die akute Einwirkung hoher Dosen kann Bewußtseinstrübung mit Erregungszuständen und Krämpfen, Kreislaufschwäche und evtl. Tod im Coma zur Folge haben.
In der Regel ist die Hämiglobinbildung reversibel. Bei vermehrter Aufnahme bestimmter schädigender Stoffe werden Erythrozyten zerstört (Anämie). Verdoglobinhaltige Erythrozyten sind irreversibel geschädigt und fallen für den Sauerstofftransport aus. An den roten Blutkörperchen treten (insbesondere bei Erkrankungen durch aromatische Mitverbindungen) die sogenannten Heinzschen Körperchen, auch Innenkörperchen genannt, auf. Ihr Nachweis erleichtert die Diagnosestellung.
Alkoholgenuß, heiße Bäder o. ä. können den Ausbruch und die Intensität der Cyanose fördern.
Nitro- aber auch Aminoverbindungen des Benzols können die Leber schädigen; dies gilt vor allem für Trinitrobenzol und Trinitrotoluol. Dinitroorthokresol kann durch Aktivierung des Stoffwechsels zu schwerer Gesundheitsschädigung (z. B. durch Wärmestauung) führen. Pikrinsäure löst eine Gelbfärbung der Haut, der Haare und der Skleren aus. Trinitrotoluol bewirkt eine rötliche Verfärbung der Haare. Es handelt sich dabei um unschädliche Veränderungen, die einen Ikterus vortäuschen können.
Die chronische Einwirkung kleinerer Dosen der genannten Stoffe kann u. a. zu Anämie, Hauterkrankungen und Leberfunktionsstörungen führen. Der Nachweis von Hämiglobin gelingt in diesen Fällen selten.
IV. Hinweise für die ärztliche Beurteilung
Bei Cyanose, die nicht auf einer Herz- oder Lungenerkrankung beruht, muß neben selteneren Bluterkrankungen an eine Erkrankung durch aromatische Nitro- oder Aminoverbindungen des Benzols, seiner Homologen oder deren Abkömmlinge gedacht werden, wenn eine entsprechende Exposition gegeben war. Spektroskopisch lassen sich evtl. Hämiglobin oder Verdoglobin und im Blutausstrichpräparat Heinzsche Körperchen nachweisen. Hämoglobinverminderung, hämolytischer Ikterus, Eiweiß und Porphyrinausscheidung im Harn können u. a. auf einen chronisch schleichenden Verlauf dieser Erkrankung hinweisen. Auch nach Arbeitsplatzwechsel ist das Auftreten von Krankheitssymptomen noch möglich.
Nach in der Regel mehrjähriger Einwirkung bestimmter Aminoverbindungen des Benzols können Schleimhautveränderungen der Harnwege, Blasenpapillome und Blasenkrebs entstehen. Ggf. handelt es sich dann um eine Erkrankung nach Nr. 1*) der Anlage zur 7. Berufskrankheiten-Verordnung. Bronchialasthma, verursacht durch Paraphenylendiamin (z. B. Ursol), kann eine Erkrankung nach Nr. 41**) der Anlage zur 7. Berufskrankheiten-Verordnung sein. Sofern schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen vorliegen, fallen diese ggf. unter Nr. 46***) der Anlage zur 7. Berufskrankheiten-Verordnung.
*) jetzt: Nr. 1301
**) jetzt: Nr. 4301
***) jetzt: Nr. 5101
Quelle:
1 Universität Rostock - Medizinische Fakultät
Institut für Präventivmedizin