Ganzkörperschwingungen (bandscheibenbedingte LWS-Erkrankungen)
Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können
Berufskrankheit Nr. 2110
"Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzkörper-Schwingungen im Sitzen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können."
(BArbBl. Nr. 7/2005 S. 43)
I. Gefahrenquellen
Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule (LWS) haben eine multifaktorielle Ätiologie. Sie sind weit verbreitet und kommen in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vor. Unter den arbeitsbedingten Faktoren, die bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS mitverursachen und verschlimmern können, stellt die langjährige (vorwiegend vertikale) Einwirkung von Ganzkörper-Schwingungen im Sitzen eine besondere Gefahrenquelle dar. Derartigen arbeitsbedingten Belastungen der LWS können insbesondere Fahrer von folgenden Fahrzeugen und fahrbaren Arbeitsmaschinen ausgesetzt sein:
Baustellen-LKW
Land- und forstwirtschaftliche Schlepper
Forstmaschinen im Gelände
Bagger bei intensiver Schwingungsbelastung, z.B. bei Abbrucharbeiten
Grader (Straßenhobel, Bodenhobel, Erdhobel), nur bei intensiver Schwingungsbelastung, z.B. Überwiegen von Grobplanierung (Grobplanung)
Scraper (Schürfwagen)
Dumper und Muldenkipper
Rad- und Kettenlader
Raddozer
Gabelstapler auf unebenen Fahrbahnen (Hofflächen, Pflaster usw.)
Militärfahrzeuge im Gelände
Wasserfahrzeuge in Gleitfahrt bei Seegang
Dagegen sind z.B. bei Fahrern von Taxis, Gabelstaplern auf ebenen Fahrbahnen, Baggern im stationärem Einsatz sowie bei Fahrern von LKW und Omnibussen mit schwingungsgedämpften Fahrersitzen keine hinreichend gesicherten gesundheitsschädigenden Auswirkungen durch Schwingungen beobachtet worden.
Andere bandscheibengefährdende Faktoren im Arbeitsprozess sind durch die BK-Nr. 2108 erfasst. Die dort genannten Belastungen und die Einwirkungen von Ganzkörper-Schwingungen sind als synergistisch wirkende Belastungen zu betrachten (Schäfer und Hartung 1999). Als konkurrierende Faktoren sind Fehlbelastungen der LWS durch außerberufliche Tätigkeiten wie Eigenleistungen beim Hausbau, Gartenarbeit, sofern diese langjährig durchgeführt werden und mit dem Heben und Tragen schwerer Lasten oder Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung verbunden sind, bestimmte Sportarten (z.B. Motorrad-Geländesport) und einseitig die Wirbelsäule belastende Trainingsmethoden in der Freizeit zu beachten.
II. Pathophysiologie
Die Zwischenwirbelabschnitte der unteren LWS sind beim Menschen schon während des gewöhnlichen Tagesablaufes erheblich belastet. Da die blutgefäßlosen, bradytrophen Bandscheiben hinsichtlich ihrer Ernährung besonders von den Diffusionsbedingungen abhängen, sind sie für mechanische Dauerbelastungen anfällig. Anhaltende Kompressionsbelastung und starke Schwingungsbelastung reduzieren die druckabhängigen Flüssigkeitsverschiebungen und beeinträchtigen damit den Stoffwechsel im Bandscheibengewebe. Durch Laktatakkumulation und pH-Verschiebung zu sauren Werten wird ein Milieu erzeugt, das zytolytisch wirkende Enzyme aktiviert. Damit werden degenerative Veränderungen eingeleitet oder beschleunigt. In diesem Milieu werden die restitutiven Prozesse gehemmt. Unter Belastung durch mechanische Ganzkörper-Schwingungen erhöht sich der intradiskale Druck um ein Mehrfaches. So führen insbesondere Resonanzschwingungen des Rumpfes und der Wirbelsäule, die vorwiegend bei Schwingungsfrequenzen zwischen 3 und 5 Hz auftreten, nicht nur zu vertikalen Relativbewegungen zwischen den Wirbelkörpern mit Stauchungen und Streckungen der Zwischenwirbelscheiben, sondern darüber hinaus auch zu Rotationsbewegungen der Segmente und zu horizontalen Segmentverschiebungen. Stoßhaltige Schwingungsbelastungen, also Schwingungsverläufe mit einzelnen oder wiederholten, stark herausragenden Beschleunigungsspitzen, stellen eine besonders hohe Gefährdung dar. Nach biomechanischen Berechnungen können dabei Kompressionskräfte erreicht werden, die im Experiment an menschlichen Wirbelsäulenpräparaten Deckplatteneinbrüche der Wirbelkörper sowie Einrisse am Anulus fibrosus der Bandscheibe verursachen. Besondere pathophysiologische Bedeutung haben auch erhöhte Druck-, Torsions- und Schubkräfte durch ungünstige Körperhaltungen (Wilke et al. 2001; White und Panjabi 1990; Seidel et al. 2000)
Eingetretene Schäden am Bandscheibengewebe sind irreversibel. Sie setzen einen Prozess in Gang, in dem Bandscheibendegeneration, degenerative Veränderungen der Wirbelkörperabschlussplatten, Massenverschiebungen im Bandscheibeninneren, Instabilität im Bewegungssegment, Bandscheibenvorwölbung, Bandscheibenvorfall, knöcherne Ausziehungen an den vorderen und seitlichen Randleisten der Wirbelkörper, degenerative Veränderungen der Wirbelgelenke sowie durch derartige Befunde hervorgerufene Beschwerden und Funktionsstörungen in einem ätiopathogenetischen Zusammenhang zu betrachten sind. Die durch arbeitsbedingte Einwirkungen verursachten degenerativen Prozesse können zu objektivierbaren Veränderungen wie Chondrose, Osteochondrose, Spondylose, Spondylarthrose, Bandscheibenprotrusion und Bandscheibenprolaps führen. Die pathophysiologischen Erkenntnisse werden durch zahlreiche epidemiologische Studien gestützt, die belegen, dass Berufsgruppen mit langjähriger Einwirkung intensiver Ganzkörper-Schwingungen im Sitzen eine signifikant höhere Prävalenz bandscheibenbedingter Erkrankungen gegenüber den nichtbelasteten Kontrollgruppen zeigen (Andersson 1991; Bovenzi et Hulshof 1998; Müsch 1987; Schwarze et al. 1999). Langjährige Belastungen durch intensive Ganzkörper-Schwingungen führen zu einer deutlichen Linksverschiebung der Beziehung zwischen Erkrankungshäufigkeit und Alter gegenüber den nichtbelasteten Vergleichspopulationen; d. h. zu einer erheblichen Vorverlagerung der bandscheibenbedingten Erkrankungen in die jüngeren Altersgruppen (Müsch 1992).
III. Krankheitsbild und Diagnose
Folgende bandscheibenbedingte Erkrankungen können unter bestimmten Bedingungen durch die Einwirkung von Ganzkörper-Schwingungen im Sitzen verursacht werden:
a. Lokales Lumbalsyndrom
Das lokale Lumbalsyndrom ist durch chronisch-rezidivierende Beschwerden in der Kreuz-Lendengegend gekennzeichnet. Dabei wird ein Belastungs-, ein Entlastungs- sowie ein Hyperlordose-Kreuzschmerz (Facettensyndrom) unterschieden. Möglich ist auch eine pseudoradikuläre Schmerzausstrahlung in die Oberschenkelmuskulatur. Pathomechanismus: Mechanische Irritation des hinteren Längsbandes (z.B. durch intradiskale Massenverschiebung), der Wirbelgelenkkapsel und/oder des Wirbelperiosts.
b. Mono- und polyradikuläre lumbale Wurzelreizsyndrome
Ein- oder beidseitig segmental ins Bein ausstrahlende, dem Verlauf des Ischiasnerves folgende Schmerzen, meist in Verbindung mit Zeichen eines lokalen Lumbalsyndroms. Weitere Leitsymptome sind: Positives Lasdgue-Zeichen, ischialgiforme Fehlhaltung, segmentale Sensibilitätsstörungen, Reflexabweichungen, motorische Störungen (vgl. Tab. 1). Pathomechanismus: Mechanische Irritation der Nervenwurzeln L3-S1 durch degenerative Veränderungen der lumbalen Bandscheiben (Bandscheibenvorwölbung, -vorfall und Sequestration, Lockerung und Volumenänderung der Bandscheiben, Instabilität im Bewegungssegment, Randzacken an den Hinterkanten der Wirbelkörper). Es kommen auch hohe lumbale Wurzelreizsyndrome (L1 und L2) infolge einer Kompression der ventralen Spinalnervenäste vor. Sie sind insgesamt jedoch selten.
c. Kaudasyndrom
Sonderform der polyradikulären lumbalen Wurzelreizsyndrome mit Reithosenanästhesie, Fehlen des Achillessehnenreflexes bei Schwäche der Wadenmuskeln, oft Schließmuskelinsuffizienzen von Blase und Mastdarm; auch Potenzstörungen kommen vor. Bei höherliegender Läsion: Fuß- und Zehenheberparesen, Quadrizepsschwächen und Patellasehnenreflexausfälle. In aller Regel handelt es sich beim bandscheibenbedingten Kaudasyndrom um ein akutes Ereignis. Pathomechanismus: Medianer Massenprolaps bei L3/L4 oder L4/L5 mit Kompression aller Nervenwurzeln der Cauda equina.
Tabelle 1:
Leitsymptome bei lumbalen Wurzelsyndromen (nach Krämer 1997, Tab.11.13)
Segment Peripheres Schmerz- und Hypästhesiefeld Motorische Störung (Kennmuskel) Reflexabschwächung
Nervendehnungszeichen
L1/L2 Leistengegend -
-
(Femoralisdehnungsschmerz)
L3 Vorderaußenseite Oberschenkel Quadrizeps Patellasehnenreflex Femoralisdehnungsschmerz
L4 Vorderaußenseite Oberschenkel, Innenseite Unterschenkel und Fuß Quadrizeps Patellasehnenreflex (positives Lasgue-Zeichen)
L5 Außenseite Unterschenkel, medialer Fußrücken, Großzehe Extensor hallucis longus -
positives Lasgue-Zeichen
S l Hinterseite Unterschenkel, Ferse, Fußaußenrand, 3.-5. Zehe Triceps surae, Glutäen Achillessehnenreflex positives Lasgue-Zeichen
Drei Gesichtspunkte der Diagnosesicherung sind zu beachten:
Die topische Diagnose umfasst Ort, Art und Ausstrahlungscharakter der Beschwerden
und liefert somit erste Voraussetzungen für die sinnvolle Planung des weiteren
Untersuchungsganges.
Die Strukturdiagnose beinhaltet verschiedene Untersuchungstechniken, um die
geschilderten Beschwerden den pathogenetisch führenden Strukturen zuzuordnen (Gelenke,
Ligamente, Muskeln, Bandscheiben etc.).
Die aktuelle Diagnose berücksichtigt die im Vordergrund stehenden und den Patienten am
meisten belastenden Beschwerden, wie Bewegungseinschränkungen, Kraftabschwächung,
Sensibilitätsstörung, Schmerzsituation, vegetative Begleitsymptomatik oder psychische
Einstellung.
Bei der klinischen Untersuchung stehen Inspektion, Palpation, Funktionsprüfung und ein
orientierender neurologischer Status im Vordergrund. Gegebenenfalls sind weiterführende
diagnostische Verfahren wie Elektromyographie, Myelographie, Computertomographie,
Kernspintomographie oder Diskographie indiziert. Bei der Diagnostik eines lokalisierbaren
Schmerzpunktes in einem Wirbelsäulensegment müssen auch die Bewegungsstörung, die
Schmerzausstrahlung und die neurologische Irritation diesem Segment zugeordnet werden
können. Erst dann kann eine vertebragene Ursache angenommen werden. Die
Differentialdiagnostik ist dringend erforderlich, um wirbelsäulenabhängige Beschwerden von
extravertebralen Ursachen abzugrenzen.
Insgesamt wird die Diagnose auf der Grundlage der Vorgeschichte, insbesondere auch der
Arbeitsanamnese, der klinischen (vor-wiegend orthopädisch-neurologischen) und der
radiologischen Untersuchungen gestellt. Veränderungen im Röntgenbild und anderen
bildgebenden Verfahren, wie eine Verschmälerung des Zwischenwirbelraumes und eine
Verdichtung der Deck- und Grundplatten der Wirbelkörper (Osteochondrose) oder
Veränderungen der kleinen Wirbelgelenke (Spondylarthrose) und Randwülste an den
Wirbelkörpern (Spondylose), können auf bandscheibenbedingte Erkrankungen hinweisen.
Auf eine sorgfältige Befunddokumentation ist zu achten (z.B. Messblatt für die Wirbelsäule nach
der Neutral-Null-Methode).
Differenzialdiagnostisch sind bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule von
folgenden konkurrierenden vertebralen und extravertebralen Ursachen abzugrenzen:
Vertebral
Extravertebral
angeborene oder erworbene Fehlbildungen der LWS
nicht degenerative Spondylolisthesis
Spondylitis
Tumor (Metastase)
Osteoporose
Fraktur
Kokzygodynie
Wirbelfehlbildungen
idiopathische Wirbelkanalstenose
Fluorose (BK-Nr. 1308)
Morbus Paget
Morbus Bechterew
gynäkologische Krankheiten
urologische Krankheiten
Krankheiten des Verdauungssystems
hüftbedingte Schmerzen (Koxalgie)
Erkrankungen des Iliosakralgelenkes
Tumoren (z.B. retroperitoneal)
Spritzenschädigung
diabetische Neuropathie
arterielle Durchblutungsstörungen in den Beinen
Aortenaneurysma
statische Beinbeschwerden durch Fußdeformierungen, Achsenabweichungen oder Beinlängendifferenzen
Neuropathien
psychosomatische Erkrankungen
IV. Weitere Hinweise
Die Beurteilung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule im Hinblick auf arbeitsbedingte Entstehungsursachen stellt sich nicht selten als schwieriges Problem dar. Die wichtigsten Gründe dafür sind, dass einerseits degenerative Veränderungen der Wirbelsäule auch unabhängig von arbeitsbedingten Belastungen häufig vorkommen. Andererseits hängt die gesundheitliche Gefährdung durch die Ganzkörperschwingung erheblich von der individuellen Belastbarkeit (z.B. Alter, Geschlecht, Konstitution) und von der Robustizität des Skelettes sowie von der Körperhaltung ab (Seidel et al. 2000). Als besonders gefährdend gelten Körperhaltungen wie: Seitneigung beim Fahren am Hang, Vorneigung des Oberkörpers ohne Unterstützung durch die Rükkenlehne, Verdrehen der Wirbelsäule (z.B. beim Rückwärtsfahren). Allerdings konnte in epidemiologischen Studien der Einfluss dieser Faktoren auf Grund der Datenlage nicht quantitativ bewertet werden. Voraussetzung für die Annahme eines arbeitsbezogenen Kausalzusammenhanges ist eine langjährige (fünf- bis zehnjährige oder längere), wiederholte Einwirkung von (vorwiegend vertikalen) Ganzkörperschwingungen in Sitzhaltung mit einer "Tagesdosis" in Form der Beurteilungsbeschleunigung aw(8) von im Regelfall 0,63 m/s-2 in der vertikalen z-Achse (siehe Anmerkungen). In Ausnahmefällen können auch schon bei geringeren Beurteilungsbeschleunigungen Gesundheitsrisiken auftreten. Hinweise, ab welchen Beurteilungsbeschleunigungen und Tätigkeitsdauern mit einem Gesundheitsrisiko zu rechnen und eine Annahme der Voraussetzungen für eine Anzeige als Berufskrankheit angebracht ist, sind der Tabelle 2 zu entnehmen. Bei der Berechnung der a w(8) Werte, welche die Gesamtbelastung während eines Tages kennzeichnen, sind die Maschinenart und zahlreiche weitere Faktoren wie z.B. der befahrene Untergrund, die individuelle Fahrgeschwindigkeit und Fahrweise und/oder Zuladung zu berücksichtigen.
Tabelle 2: Risiko der Entstehung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS durch
Ganzkörper-Schwingungen
Bezeichnung Beurteilungsbeschleunigung a w(8) Hinweise für eine Expositionsdauer von in der Regel ³ 5 - < 10 Jahren Hinweise für eine Expositionsdauer von in der Regel ³ 10 Jahren
Untergrenze der Zone erhöhter Gesundheitsgefährdung (VDI 2057-1)
Auslösewert der EU-Richtlinie 2002/44/EG
0,45 ms-2
0,45 ms-2 Ein Gesundheitsrisiko ist wenig wahrscheinlich. Ein Gesundheitsrisiko kann bestehen, falls die Exposition mit anderen risikoerhöhenden Faktoren einhergeht, wie Alter zum Beginn der Exposition > 40 Jahre, vorgeneigte 1 oder verdrehte Haltung 2, Stoßhaltigkeit 3, kurze tägliche Expositionsabschnitte mit hoher Intensität 4, längerdauernde Expositionszeiten mit hoher Intensität in Verbindung mit längerdauernden Expositionspausen oder Zeiten mit sehr geringer Intensität 5.( vgl. VDI 2057-1)
Wert etwa in der Mitte der Zone erhöhter Gesundheitsgefährdung (VDI 2057-1) 0,63 ms-2 Ein Gesundheitsrisiko kann bestehen, falls die Exposition mit anderen risikoerhöhenden Faktoren einhergeht, wie Alter zum Beginn der Exposition > 40 Jahre, vorgeneigte oder verdrehte Haltung, Stoßhaltigkeit, kurze tägliche Expositionsabschnitte mit hoher Intensität, längerdauernde Expositionszeiten mit hoher Intensität in Verbindung mit längerdauernden Expositionspausen oder Zeiten mit sehr geringer Intensität. Von einem Gesundheitsrisiko ist auszugehen.
Obergrenze der Zone erhöhter Gesundheitsgefährdung (VDI 2057-1) 0,8 ms-2 Siehe vorstehend. Die Wahrscheinlichkeit des Gesundheitsrisikos nimmt mit steigender Beurteilungsbeschleunigung zu. Von einem Gesundheitsrisiko ist auszugehen.
1) Eine vorgeneigte Haltung liegt vor, wenn während der Schwingungsexposition durch Vorneigung des Oberkörpers überwiegend kein Kontakt zur Rückenlehne besteht, wie z.B. bei Fahrern von Erdbaumaschinen, Brückenkranfahrern oder Hubschrauberpiloten, die sich zur visuellen Kontrolle ihrer Tätigkeit vorbeugen müssen.
2) Eine verdrehte Haltung liegt vor, wenn die Tätigkeit während der Schwingungsexposition eine Verdrehung des Oberkörpers (Kopf, Schulter, Thorax) um die Körperlängsachse erfordert, wie z.B. bei Fahrern von Maschinen, deren Arbeitsplatz so angeordnet ist, dass der Fahrer quer zur Fahrtrichtung sitzt. Eine während der GKS-Exposition vorliegende Seitneigung des Rumpfes, z.B. durch Neigung der Sitzfläche in der Frontalebene bei Arbeiten am Hang, kann der verdrehten Haltung als besondere Bedingung hinsichtlich der Risiko erhöhenden Wirkung gleichgestellt werden.
3) Stoßhaltigkeit liegt vor, wenn Belastungsabschnitte hohe Spitzen der frequenzbewerteten Beschleunigung aufweisen, siehe VDI 2057-1 S. 22 Abs. 4.4.
4) Kurze tägliche Expositionsabschnitte mit hoher Intensität sind tägliche Expositionen mit einer täglichen Einwirkungsdauer unter 2 Stunden und einem aw(8) - Wert > 0,9 ms-2 .
5) Länger dauernde Expositionszeiten mit hoher Intensität sind Zeiten mit vorwiegend täglichen Expositionen mit einem aw(8) -Wert > 0,8 ms-2, Expositionspausen oder Zeiten mit sehr geringer Intensität sind Zeiten mit vorwiegend täglichen Expositionen mit einem aw(8) -Wert < 0,45 ms-2 .
Aus der Tabelle 3 sind maschinenspezifische Faktoren ersichtlich, mit denen früher (vor 2002)
ermittelte Kr-Werte an die jetzt gültigen Beurteilungsbeschleunigungswerte a w(8)
näherungsweise angepasst werden können.
Tabelle 3: Faktoren zur näherungsweisen Umrechnung von Messwerten in z-Richtung nach VDI
2057:1987 in Messwerte, die nach der neuen Frequenzbewertung (VDI 2057-1:2002) zu
erwarten wären
Fahrzeug/fahrbare Arbeitsmaschine Faktor alte zu neue Frequenzbewertung z-Richtung
Baustellen-Lkw 0,95
Land- u. forstwirtschaftliche Schlepper 0,90
Bagger 1,15
Grader 0,95
Scraper 0,95
Muldenkipper 0,95
Radlader 0,95
Kettenlader 1,20
Raddozer 0,95
Planierraupe 1,20
Gabelstapler auf unebenem Gelände 1,0
Die Faktoren sind (aufgerundete) Mittelwerte auf der Basis von VDI 2057-1:2002,
Berufsgenossenschaftliches Institut für Arbeitsschutz - BIA (im HVBG)
Fachbereich: Arbeitsgestaltung, Physikalische Einwirkungen
Referat: Vibration Dr. E. Christ
Als medizinische Voraussetzungen für die Anzeige eines Verdachtes auf das Vorliegen der
Berufskrankheit 2110 sind chronische oder chronisch-rezidivierende Beschwerden und
Funktionseinschränkungen zu fordern
Die Unterlassung der gefährdenden Tätigkeiten ist nicht Voraussetzung für eine Anzeige als
Berufskrankheit.
Anmerkungen:
Der bisher in der Bundesrepublik Deutschland verwendete Begriff der
Beurteilungsschwingstärke Kr wird in Anpassung an internationale Definitionen durch aW(B) (in
m/s2) ersetzt. Für horizontale und vertikale Schwingungsrichtungen gilt:
aW(8) × 20 ( m/s+)
a Kr
Für die vertikale z-Achse wurde die Frequenzbewertung geändert, sodass je nach
Frequenzbereich bis zu 20%, höhere, gleich hohe oder bis 20% niedrigere Beträge eintreten
werden (VDI 2057-Blatt 1, 2002).
Falls sich erweisen sollte, dass die Einwirkung in horizontaler Richtung die stärkste
Schwingungsrichtung ist, so ist diese mit zu berücksichtigen (vergleiche EU Richtlinie
2002/44/EG).
V. Literatur
Andersson, G.B.J.: The epidemiology of spinal disorders. In: Frymover, J.W. et al. (eds): The Adult Spine, Principles and Practice, New York, Raven Press, p. 107-146 (1991)
Bovenzi, M., Hulshof, C.T.J.: An updated review of epidemiologic studies an the relationship between exposure to whole-body vibrations and low back pain. J. Sound and Vibration, 215, 4, 595-611 (1998)
Christ, E.: Schwingungsbelastung an Arbeitsplätzen - Kennwerte der Hand-, Arm- und Ganzkörper-Schwingungsbelastung. BIA-Report 2/88, Berufsgenossenschaftliches Institut für Arbeitssicherheit, Sankt Augustin (1988)
Dupuis, H.: Erkrankungen durch Ganzkörper-Schwingungen. In: Konietzko, J. und Dupuis, H. (Hrsg.): Handbuch der Arbeitsmedizin, ecomed IV-3.5 1-24 (1993)
Dupuis, H., Hartung, E.: Belastung und Beanspruchung durch stoßhaltige Schwingungen, Verbundprojekt Ganzkörperschwingungen II. Schriftenreihe des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften e.V., Bonn 1-158 (1991)
Griffin, M.J.: Handbook of human vibration. Academic Press, San Diego (1990)
Hartung, E. et al.: Belastung und Beanspruchung durch stoßhaltige Ganzkörper-Schwingungen. Verbundprojekt Ganzkörperschwingungen III (Schlussbericht). Schriftenreihe BAfAM Forschung - Fb 01 HK 030/040/049/061/989 Berlin 1995
Heuchert, G.: Krankheiten durch fortgesetzte mechanische Überbelastung des Bewegungsapparates. In: Konetzke, G. et al. (Hrsg.): Berufskrankheiten - gesetzliche Grundlagen zur Meldung, Begutachtung und Entschädigung, Volk und Gesundheit, Berlin, S. 104-113 (1988)
Junghanns, H.: Die Wirbelsäule in der Arbeitsmedizin. Teil II: Einflüsse der Berufsarbeit auf die Wirbelsäule. Die Wirbelsäule in Forschung und Praxis, Bd. 79, Hippokrates, Stuttgart (1979)
Krämer, J.: Bandscheibenbedingte Erkrankungen: Ursachen, Diagnose, Behandlung, Vorbeugung und Begutachtung, Thieme, Stuttgart (1997)
Müsch, F.H.: Lumbale Bandscheibendegeneration bei Erdbaumaschinenfahrern mit langjähriger Ganzkörper-Vibrationsexposition. Med. Diss., Mainz (1987)
Müsch F.H.: Lumbalsyndrom durch Ganzkörper-Vibrationsbelastung. In: Kreutz R. und Piekarski C. (Hrsg.): 32. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin Seite 730- 734, Center Stuttgart 1992
Richtlinie 2002/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Juni 2002 über Mindestvorschriften zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch physikalische Einwirkungen (Vibrationen). Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft L 177:13-22 (2002)
Schäfer, K., Hartung, E.: Mainz-Dortmunder Dosismodell (MDD) zur Beurteilung der Belastung der Lendenwirbelsäule durch Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung bei Verdacht auf Berufskrankheit Nr. 2108. Teil 3: Vorschlag zur Beurteilung der arbeitsmedizinischen Voraussetzungen im Berufskrankheiten-Feststellungsverfahren bei kombinierter Belastung mit Ganzkörper-Schwingungen Arbeitsmed. Sozialmed. Umweltmed. 34, 143-146 (1999)
Schwarze, S. et al.: Auswirkungen von Ganzkörper-Schwingungen auf die Lendenwirbelsäule, Arbeitsmed. Sozialmed. Umweltmed. 33, 10, 429-442 (1998)
Schwarze, S. et al.: epidemiologische Studie "Ganzkörpervibration" Verbundforschungsvorhaben im Auftrag des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften. Abschlussbericht. Schriftenreihe des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften, ISBN 3-88383-493-9. Sankt Augustin 1-288 (1999)
Seidel, H., Heide, R.: Long-term effects of whole-body vibration: A critical survey of the literature. Int. Arch. Occup. Environ. Health, 58, S. 1-29 (1986)
Seidel, H. Begründung und Erläuterung zur BK-Nummer 2110. In: Erkrankungen der Wirbelsäule bei körperlicher Schwerarbeit und Ganzkörperschwingungen. Erläuterungen zu den neuen BK-Nummern 2108, 2109, 2110 und zur EG-Richtlinie 90/269/EWG (Heben und Tragen von Lasten). Sonderschrift 3. Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsmedizin, S. 45-61
Seidel, H. et al.: Belastung der Lendenwirbelsäule durch stoßhaltige Ganzkörperschwingungen. Experimentelle interdisziplinäre Untersuchung - Anthropometrie, Biodynamik, biomechanisches Modell, Psychophysik und Elektromyographie. Fb 01 HK 061, Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsmedizin (1995)
Seidel, H. et al.: Ermittlung vibrationsbedingter Belastungsverläufe in der Lendenwirbelsäule mit Hilfe dynamischer Vielkörpermodellierung. Fb 889 Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (2000)
Seidel, H. et al.: Entsprechen die Frequenzbewertungen für das Beanspruchungskriterium Gesundheit nach ISO 2631-1 und VDI 2057 Blatt 1 der Wirkung? Tagungsband der VDI-Tagung Humanschwingungen 17.-18. 3. 2004 Darmstadt
VDI 2057, Blatt 1. Einwirkung mechanischer Schwingungen auf den Menschen; Grundlagen, Gliederung, Begriffe. - Düsseldorf: VDI-Verl., 1987 - 6 S.
VDI 2057, Blatt 2. Einwirkung mechanischer Schwingungen auf den Menschen. Bewertung - Düsseldorf: VDI-Verl., 1987 - 8 S.
VDI 2057, Blatt 3. Einwirkung mechanischer Schwingungen auf den Menschen. Beurteilung. - Düsseldorf: VDI-Verl., 1987 - 7 S.
VDI-Richtlinie 2057: Einwirkung mechanischer Schwingungen auf den Menschen, Blatt 1/Part 1: Ganzkörper-Schwingungen, Beuth Berlin (2002)
White, A.A., Panjabi, M.M.: Clinical Biomechanics of the spine, 2nd ed., J.B. Lippinbcott Company, Philadelphia (1990)
Wilke H.J. et al.: Intradiscal pressure together with anthropometric data - a data set for the validation of models. Clin. Biomech. 16 Suppl. 1:111-126 (2001)
(BArbBl. Nr. 7/2005 S. 43)
I. Gefahrenquellen
Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule (LWS) haben eine multifaktorielle Ätiologie. Sie sind weit verbreitet und kommen in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vor. Unter den arbeitsbedingten Faktoren, die bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS mitverursachen und verschlimmern können, stellt die langjährige (vorwiegend vertikale) Einwirkung von Ganzkörper-Schwingungen im Sitzen eine besondere Gefahrenquelle dar. Derartigen arbeitsbedingten Belastungen der LWS können insbesondere Fahrer von folgenden Fahrzeugen und fahrbaren Arbeitsmaschinen ausgesetzt sein:
Andere bandscheibengefährdende Faktoren im Arbeitsprozess sind durch die BK-Nr. 2108 erfasst. Die dort genannten Belastungen und die Einwirkungen von Ganzkörper-Schwingungen sind als synergistisch wirkende Belastungen zu betrachten (Schäfer und Hartung 1999). Als konkurrierende Faktoren sind Fehlbelastungen der LWS durch außerberufliche Tätigkeiten wie Eigenleistungen beim Hausbau, Gartenarbeit, sofern diese langjährig durchgeführt werden und mit dem Heben und Tragen schwerer Lasten oder Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung verbunden sind, bestimmte Sportarten (z.B. Motorrad-Geländesport) und einseitig die Wirbelsäule belastende Trainingsmethoden in der Freizeit zu beachten.
II. Pathophysiologie
Die Zwischenwirbelabschnitte der unteren LWS sind beim Menschen schon während des gewöhnlichen Tagesablaufes erheblich belastet. Da die blutgefäßlosen, bradytrophen Bandscheiben hinsichtlich ihrer Ernährung besonders von den Diffusionsbedingungen abhängen, sind sie für mechanische Dauerbelastungen anfällig. Anhaltende Kompressionsbelastung und starke Schwingungsbelastung reduzieren die druckabhängigen Flüssigkeitsverschiebungen und beeinträchtigen damit den Stoffwechsel im Bandscheibengewebe. Durch Laktatakkumulation und pH-Verschiebung zu sauren Werten wird ein Milieu erzeugt, das zytolytisch wirkende Enzyme aktiviert. Damit werden degenerative Veränderungen eingeleitet oder beschleunigt. In diesem Milieu werden die restitutiven Prozesse gehemmt. Unter Belastung durch mechanische Ganzkörper-Schwingungen erhöht sich der intradiskale Druck um ein Mehrfaches. So führen insbesondere Resonanzschwingungen des Rumpfes und der Wirbelsäule, die vorwiegend bei Schwingungsfrequenzen zwischen 3 und 5 Hz auftreten, nicht nur zu vertikalen Relativbewegungen zwischen den Wirbelkörpern mit Stauchungen und Streckungen der Zwischenwirbelscheiben, sondern darüber hinaus auch zu Rotationsbewegungen der Segmente und zu horizontalen Segmentverschiebungen. Stoßhaltige Schwingungsbelastungen, also Schwingungsverläufe mit einzelnen oder wiederholten, stark herausragenden Beschleunigungsspitzen, stellen eine besonders hohe Gefährdung dar. Nach biomechanischen Berechnungen können dabei Kompressionskräfte erreicht werden, die im Experiment an menschlichen Wirbelsäulenpräparaten Deckplatteneinbrüche der Wirbelkörper sowie Einrisse am Anulus fibrosus der Bandscheibe verursachen. Besondere pathophysiologische Bedeutung haben auch erhöhte Druck-, Torsions- und Schubkräfte durch ungünstige Körperhaltungen (Wilke et al. 2001; White und Panjabi 1990; Seidel et al. 2000)
Eingetretene Schäden am Bandscheibengewebe sind irreversibel. Sie setzen einen Prozess in Gang, in dem Bandscheibendegeneration, degenerative Veränderungen der Wirbelkörperabschlussplatten, Massenverschiebungen im Bandscheibeninneren, Instabilität im Bewegungssegment, Bandscheibenvorwölbung, Bandscheibenvorfall, knöcherne Ausziehungen an den vorderen und seitlichen Randleisten der Wirbelkörper, degenerative Veränderungen der Wirbelgelenke sowie durch derartige Befunde hervorgerufene Beschwerden und Funktionsstörungen in einem ätiopathogenetischen Zusammenhang zu betrachten sind. Die durch arbeitsbedingte Einwirkungen verursachten degenerativen Prozesse können zu objektivierbaren Veränderungen wie Chondrose, Osteochondrose, Spondylose, Spondylarthrose, Bandscheibenprotrusion und Bandscheibenprolaps führen. Die pathophysiologischen Erkenntnisse werden durch zahlreiche epidemiologische Studien gestützt, die belegen, dass Berufsgruppen mit langjähriger Einwirkung intensiver Ganzkörper-Schwingungen im Sitzen eine signifikant höhere Prävalenz bandscheibenbedingter Erkrankungen gegenüber den nichtbelasteten Kontrollgruppen zeigen (Andersson 1991; Bovenzi et Hulshof 1998; Müsch 1987; Schwarze et al. 1999). Langjährige Belastungen durch intensive Ganzkörper-Schwingungen führen zu einer deutlichen Linksverschiebung der Beziehung zwischen Erkrankungshäufigkeit und Alter gegenüber den nichtbelasteten Vergleichspopulationen; d. h. zu einer erheblichen Vorverlagerung der bandscheibenbedingten Erkrankungen in die jüngeren Altersgruppen (Müsch 1992).
III. Krankheitsbild und Diagnose
Folgende bandscheibenbedingte Erkrankungen können unter bestimmten Bedingungen durch die Einwirkung von Ganzkörper-Schwingungen im Sitzen verursacht werden:
a. Lokales Lumbalsyndrom
Das lokale Lumbalsyndrom ist durch chronisch-rezidivierende Beschwerden in der Kreuz-Lendengegend gekennzeichnet. Dabei wird ein Belastungs-, ein Entlastungs- sowie ein Hyperlordose-Kreuzschmerz (Facettensyndrom) unterschieden. Möglich ist auch eine pseudoradikuläre Schmerzausstrahlung in die Oberschenkelmuskulatur. Pathomechanismus: Mechanische Irritation des hinteren Längsbandes (z.B. durch intradiskale Massenverschiebung), der Wirbelgelenkkapsel und/oder des Wirbelperiosts.
b. Mono- und polyradikuläre lumbale Wurzelreizsyndrome
Ein- oder beidseitig segmental ins Bein ausstrahlende, dem Verlauf des Ischiasnerves folgende Schmerzen, meist in Verbindung mit Zeichen eines lokalen Lumbalsyndroms. Weitere Leitsymptome sind: Positives Lasdgue-Zeichen, ischialgiforme Fehlhaltung, segmentale Sensibilitätsstörungen, Reflexabweichungen, motorische Störungen (vgl. Tab. 1). Pathomechanismus: Mechanische Irritation der Nervenwurzeln L3-S1 durch degenerative Veränderungen der lumbalen Bandscheiben (Bandscheibenvorwölbung, -vorfall und Sequestration, Lockerung und Volumenänderung der Bandscheiben, Instabilität im Bewegungssegment, Randzacken an den Hinterkanten der Wirbelkörper). Es kommen auch hohe lumbale Wurzelreizsyndrome (L1 und L2) infolge einer Kompression der ventralen Spinalnervenäste vor. Sie sind insgesamt jedoch selten.
c. Kaudasyndrom
Sonderform der polyradikulären lumbalen Wurzelreizsyndrome mit Reithosenanästhesie, Fehlen des Achillessehnenreflexes bei Schwäche der Wadenmuskeln, oft Schließmuskelinsuffizienzen von Blase und Mastdarm; auch Potenzstörungen kommen vor. Bei höherliegender Läsion: Fuß- und Zehenheberparesen, Quadrizepsschwächen und Patellasehnenreflexausfälle. In aller Regel handelt es sich beim bandscheibenbedingten Kaudasyndrom um ein akutes Ereignis. Pathomechanismus: Medianer Massenprolaps bei L3/L4 oder L4/L5 mit Kompression aller Nervenwurzeln der Cauda equina.
Tabelle 1:
Leitsymptome bei lumbalen Wurzelsyndromen (nach Krämer 1997, Tab.11.13)
Segment Peripheres Schmerz- und Hypästhesiefeld Motorische Störung (Kennmuskel) Reflexabschwächung
Nervendehnungszeichen
L1/L2 Leistengegend -
-
(Femoralisdehnungsschmerz)
L3 Vorderaußenseite Oberschenkel Quadrizeps Patellasehnenreflex Femoralisdehnungsschmerz
L4 Vorderaußenseite Oberschenkel, Innenseite Unterschenkel und Fuß Quadrizeps Patellasehnenreflex (positives Lasgue-Zeichen)
L5 Außenseite Unterschenkel, medialer Fußrücken, Großzehe Extensor hallucis longus -
positives Lasgue-Zeichen
S l Hinterseite Unterschenkel, Ferse, Fußaußenrand, 3.-5. Zehe Triceps surae, Glutäen Achillessehnenreflex positives Lasgue-Zeichen
Drei Gesichtspunkte der Diagnosesicherung sind zu beachten:
Untersuchungsganges.
Ligamente, Muskeln, Bandscheiben etc.).
Sensibilitätsstörung, Schmerzsituation, vegetative Begleitsymptomatik oder psychische
Einstellung.
Bei der klinischen Untersuchung stehen Inspektion, Palpation, Funktionsprüfung und ein
orientierender neurologischer Status im Vordergrund. Gegebenenfalls sind weiterführende
diagnostische Verfahren wie Elektromyographie, Myelographie, Computertomographie,
Kernspintomographie oder Diskographie indiziert. Bei der Diagnostik eines lokalisierbaren
Schmerzpunktes in einem Wirbelsäulensegment müssen auch die Bewegungsstörung, die
Schmerzausstrahlung und die neurologische Irritation diesem Segment zugeordnet werden
können. Erst dann kann eine vertebragene Ursache angenommen werden. Die
Differentialdiagnostik ist dringend erforderlich, um wirbelsäulenabhängige Beschwerden von
extravertebralen Ursachen abzugrenzen.
Insgesamt wird die Diagnose auf der Grundlage der Vorgeschichte, insbesondere auch der
Arbeitsanamnese, der klinischen (vor-wiegend orthopädisch-neurologischen) und der
radiologischen Untersuchungen gestellt. Veränderungen im Röntgenbild und anderen
bildgebenden Verfahren, wie eine Verschmälerung des Zwischenwirbelraumes und eine
Verdichtung der Deck- und Grundplatten der Wirbelkörper (Osteochondrose) oder
Veränderungen der kleinen Wirbelgelenke (Spondylarthrose) und Randwülste an den
Wirbelkörpern (Spondylose), können auf bandscheibenbedingte Erkrankungen hinweisen.
Auf eine sorgfältige Befunddokumentation ist zu achten (z.B. Messblatt für die Wirbelsäule nach
der Neutral-Null-Methode).
Differenzialdiagnostisch sind bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule von
folgenden konkurrierenden vertebralen und extravertebralen Ursachen abzugrenzen:
Vertebral
Extravertebral
IV. Weitere Hinweise
Die Beurteilung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule im Hinblick auf arbeitsbedingte Entstehungsursachen stellt sich nicht selten als schwieriges Problem dar. Die wichtigsten Gründe dafür sind, dass einerseits degenerative Veränderungen der Wirbelsäule auch unabhängig von arbeitsbedingten Belastungen häufig vorkommen. Andererseits hängt die gesundheitliche Gefährdung durch die Ganzkörperschwingung erheblich von der individuellen Belastbarkeit (z.B. Alter, Geschlecht, Konstitution) und von der Robustizität des Skelettes sowie von der Körperhaltung ab (Seidel et al. 2000). Als besonders gefährdend gelten Körperhaltungen wie: Seitneigung beim Fahren am Hang, Vorneigung des Oberkörpers ohne Unterstützung durch die Rükkenlehne, Verdrehen der Wirbelsäule (z.B. beim Rückwärtsfahren). Allerdings konnte in epidemiologischen Studien der Einfluss dieser Faktoren auf Grund der Datenlage nicht quantitativ bewertet werden. Voraussetzung für die Annahme eines arbeitsbezogenen Kausalzusammenhanges ist eine langjährige (fünf- bis zehnjährige oder längere), wiederholte Einwirkung von (vorwiegend vertikalen) Ganzkörperschwingungen in Sitzhaltung mit einer "Tagesdosis" in Form der Beurteilungsbeschleunigung aw(8) von im Regelfall 0,63 m/s-2 in der vertikalen z-Achse (siehe Anmerkungen). In Ausnahmefällen können auch schon bei geringeren Beurteilungsbeschleunigungen Gesundheitsrisiken auftreten. Hinweise, ab welchen Beurteilungsbeschleunigungen und Tätigkeitsdauern mit einem Gesundheitsrisiko zu rechnen und eine Annahme der Voraussetzungen für eine Anzeige als Berufskrankheit angebracht ist, sind der Tabelle 2 zu entnehmen. Bei der Berechnung der a w(8) Werte, welche die Gesamtbelastung während eines Tages kennzeichnen, sind die Maschinenart und zahlreiche weitere Faktoren wie z.B. der befahrene Untergrund, die individuelle Fahrgeschwindigkeit und Fahrweise und/oder Zuladung zu berücksichtigen.
Tabelle 2: Risiko der Entstehung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS durch
Ganzkörper-Schwingungen
Bezeichnung Beurteilungsbeschleunigung a w(8) Hinweise für eine Expositionsdauer von in der Regel ³ 5 - < 10 Jahren Hinweise für eine Expositionsdauer von in der Regel ³ 10 Jahren
Untergrenze der Zone erhöhter Gesundheitsgefährdung (VDI 2057-1)
Auslösewert der EU-Richtlinie 2002/44/EG
0,45 ms-2
0,45 ms-2 Ein Gesundheitsrisiko ist wenig wahrscheinlich. Ein Gesundheitsrisiko kann bestehen, falls die Exposition mit anderen risikoerhöhenden Faktoren einhergeht, wie Alter zum Beginn der Exposition > 40 Jahre, vorgeneigte 1 oder verdrehte Haltung 2, Stoßhaltigkeit 3, kurze tägliche Expositionsabschnitte mit hoher Intensität 4, längerdauernde Expositionszeiten mit hoher Intensität in Verbindung mit längerdauernden Expositionspausen oder Zeiten mit sehr geringer Intensität 5.( vgl. VDI 2057-1)
Wert etwa in der Mitte der Zone erhöhter Gesundheitsgefährdung (VDI 2057-1) 0,63 ms-2 Ein Gesundheitsrisiko kann bestehen, falls die Exposition mit anderen risikoerhöhenden Faktoren einhergeht, wie Alter zum Beginn der Exposition > 40 Jahre, vorgeneigte oder verdrehte Haltung, Stoßhaltigkeit, kurze tägliche Expositionsabschnitte mit hoher Intensität, längerdauernde Expositionszeiten mit hoher Intensität in Verbindung mit längerdauernden Expositionspausen oder Zeiten mit sehr geringer Intensität. Von einem Gesundheitsrisiko ist auszugehen.
Obergrenze der Zone erhöhter Gesundheitsgefährdung (VDI 2057-1) 0,8 ms-2 Siehe vorstehend. Die Wahrscheinlichkeit des Gesundheitsrisikos nimmt mit steigender Beurteilungsbeschleunigung zu. Von einem Gesundheitsrisiko ist auszugehen.
1) Eine vorgeneigte Haltung liegt vor, wenn während der Schwingungsexposition durch Vorneigung des Oberkörpers überwiegend kein Kontakt zur Rückenlehne besteht, wie z.B. bei Fahrern von Erdbaumaschinen, Brückenkranfahrern oder Hubschrauberpiloten, die sich zur visuellen Kontrolle ihrer Tätigkeit vorbeugen müssen.
2) Eine verdrehte Haltung liegt vor, wenn die Tätigkeit während der Schwingungsexposition eine Verdrehung des Oberkörpers (Kopf, Schulter, Thorax) um die Körperlängsachse erfordert, wie z.B. bei Fahrern von Maschinen, deren Arbeitsplatz so angeordnet ist, dass der Fahrer quer zur Fahrtrichtung sitzt. Eine während der GKS-Exposition vorliegende Seitneigung des Rumpfes, z.B. durch Neigung der Sitzfläche in der Frontalebene bei Arbeiten am Hang, kann der verdrehten Haltung als besondere Bedingung hinsichtlich der Risiko erhöhenden Wirkung gleichgestellt werden.
3) Stoßhaltigkeit liegt vor, wenn Belastungsabschnitte hohe Spitzen der frequenzbewerteten Beschleunigung aufweisen, siehe VDI 2057-1 S. 22 Abs. 4.4.
4) Kurze tägliche Expositionsabschnitte mit hoher Intensität sind tägliche Expositionen mit einer täglichen Einwirkungsdauer unter 2 Stunden und einem aw(8) - Wert > 0,9 ms-2 .
5) Länger dauernde Expositionszeiten mit hoher Intensität sind Zeiten mit vorwiegend täglichen Expositionen mit einem aw(8) -Wert > 0,8 ms-2, Expositionspausen oder Zeiten mit sehr geringer Intensität sind Zeiten mit vorwiegend täglichen Expositionen mit einem aw(8) -Wert < 0,45 ms-2 .
Aus der Tabelle 3 sind maschinenspezifische Faktoren ersichtlich, mit denen früher (vor 2002)
ermittelte Kr-Werte an die jetzt gültigen Beurteilungsbeschleunigungswerte a w(8)
näherungsweise angepasst werden können.
Tabelle 3: Faktoren zur näherungsweisen Umrechnung von Messwerten in z-Richtung nach VDI
2057:1987 in Messwerte, die nach der neuen Frequenzbewertung (VDI 2057-1:2002) zu
erwarten wären
Fahrzeug/fahrbare Arbeitsmaschine Faktor alte zu neue Frequenzbewertung z-Richtung
Baustellen-Lkw 0,95
Land- u. forstwirtschaftliche Schlepper 0,90
Bagger 1,15
Grader 0,95
Scraper 0,95
Muldenkipper 0,95
Radlader 0,95
Kettenlader 1,20
Raddozer 0,95
Planierraupe 1,20
Gabelstapler auf unebenem Gelände 1,0
Die Faktoren sind (aufgerundete) Mittelwerte auf der Basis von VDI 2057-1:2002,
Berufsgenossenschaftliches Institut für Arbeitsschutz - BIA (im HVBG)
Fachbereich: Arbeitsgestaltung, Physikalische Einwirkungen
Referat: Vibration Dr. E. Christ
Als medizinische Voraussetzungen für die Anzeige eines Verdachtes auf das Vorliegen der
Berufskrankheit 2110 sind chronische oder chronisch-rezidivierende Beschwerden und
Funktionseinschränkungen zu fordern
Die Unterlassung der gefährdenden Tätigkeiten ist nicht Voraussetzung für eine Anzeige als
Berufskrankheit.
Anmerkungen:
Der bisher in der Bundesrepublik Deutschland verwendete Begriff der
Beurteilungsschwingstärke Kr wird in Anpassung an internationale Definitionen durch aW(B) (in
m/s2) ersetzt. Für horizontale und vertikale Schwingungsrichtungen gilt:
aW(8) × 20 ( m/s+)
a Kr
Für die vertikale z-Achse wurde die Frequenzbewertung geändert, sodass je nach
Frequenzbereich bis zu 20%, höhere, gleich hohe oder bis 20% niedrigere Beträge eintreten
werden (VDI 2057-Blatt 1, 2002).
Falls sich erweisen sollte, dass die Einwirkung in horizontaler Richtung die stärkste
Schwingungsrichtung ist, so ist diese mit zu berücksichtigen (vergleiche EU Richtlinie
2002/44/EG).
V. Literatur
Quelle:
1 Universität Rostock - Medizinische Fakultät
Institut für Präventivmedizin