Blei

Erkrankungen durch Blei oder seine Verbindungen

Erkrankungen durch Blei oder seine Verbindungen finden sich in der Berufskrankheitenliste zur Nr. 1101. Das Bundesarbeitsministerium hat hierzu ein entsprechendes Merkblatt mit nützlichen Hinweisen herausgegeben, das auf Wunsch zugesandt werden kann. Es hat Fälle gegeben, wo bei Ansteigen der Bleiwerte die betroffenen Arbeitnehmer aus dem Gefährdungsbereich vorübergehend ausschieden und deshalb Übergangsleistungen erhielten von der Berufsgenossenschaft. Sodann durften sie in den Gefährdungsbereich zurück, wenn die Werte sich normalisiert hatten. Zeigten sich erneut Symptome, Bleisaum am Zahnfleischrand oder anderes, mußte die gefährdende Tätigkeit wieder eingestellt werden. Es gab erneut Übergangsleistungen seitens der Berufsgenossenschaft. Dieses Verfahren konnte sich so fortsetzen.

Stichwort: Bleivergiftung

Berufskrankheit Nr. 1101

Merkblatt zur BK Nr. 1101: Erkrankungen durch Blei oder seine Verbindungen

Erkrankungen durch Blei oder seine Verbindungen Merkblatt zu BK Nr. 6 der Anl. 1 zur 7. BKVO
(Bek. des BMA v. 19.5.1964, BArbBl Fachteil Arbeitsschutz 1964, 126f)

I. Vorkommen und Gefahrenquellen
Blei (Pb), ein weiches, bei 327° C schmelzendes Metall, wird durch Verhüttung von Erzen, insbesondere Bleiglanz, z. T. von Weiß- oder Vitriolbleierz, gewonnen. In Staub- oder Dampfform oxydiert es in Luft zu kolloidalem Bleioxyd (PbO); sog. Bleirauch besteht aus Bleioxydteilchen.
Gefahrenquellen sind Arbeitsverfahren, bei denen Blei oder seine Verbindungen, insbesondere in Staub-, Rauch oder Dampfform (metallisches Pb verdampft wahrnehmbar ab 550° C), auftreten.
Dies kann z. B. zutreffen in Blei- oder Zinkhütten (Zinkerze enthalten oft Bleiglanz), beim Feilen, Sägen, Fräsen, trockenen Schleifen oder Poliern von metallischem Blei oder Bleilegierungen. Weiterhin beim Mischen und Anreiben bleihaltiger Farben in Pulverform (z. B. Bleiweiß, bleihaltigem Zinkweiß, Mennige, Bleicyanamid, Chromgelb, Chromrot, Neapelgelb) oder beim Aufspritzen der Farben mittels Spritzpistole, beim Abbürsten und Abbrennen von Bleifarbenanstrichen, beim Schneiden oder Schweißen an mit Mennige oder anderen Bleifarben gestrichenen oder verbleiten Teilen (z. B. beim Verschrotten, Abwracken). Auch beim Warmnieten mit Menigge gestrichener Eisenteile, Altmetallschmelzen, Homogenverbleien, Bleilöten, bei Arbeiten in Drahthärtereien, der Herstellung von Lagerschalen aus Bleibronze, von Bleiakkumulatoren, beim Abziehen der Oxydschicht vom Bleibad (z. B. in Patentierereien) durch Verstäuben der sog. Krätze und beim Glätten (Bürsten, Schleifen) von Karosseriefugen u. ä., die mit vorwiegend bleihaltigem Lötzinn behandelt wurden,bestehen Gesundheitsgefahren. Dies gilt auch für die Herstellung bleihaltiger Glasuren (Fritten), Emails, Dekors, Kristallgläser und die Verwendung von Bleiverbindungen als Stabilisatoren und Gleitmittel in der Kunststoffindustrie.
Auch das Reinigen von mit Bleibenzin betriebenen Motoren, in denen Bleioxyd oder Bleihalogenide als Verbrennungsrückstand vorkommen, kann eine Gefahrenquelle sein. Die dem Vergaserkraftstoff als „Antiklopfmittel“ in Form des „Ethyl-Fluids“ beigefügten Bleialkyle, wie Bleitetraäthyl (TEL) oder Bleitetramethyl (TML), können beim Mischen mit Benzin in Mischanlagen oder beim Reinigen der Bleibenzin-Lagertanks von Bleischlamm die Gesundheit gefährden.
Der Umgang mit metallischem Blei, Bleirohren, Bleilettern, z. B. im graphischem Gewerbe, oder mit bleihaltigem Benzin an Tankstellen stellt kaum eine spezifische Gesundheitsgefahr dar.

II. Aufnahme und Wirkungsweise
In Staub-, Rauch- oder Dampfform werden Blei oder seine Verbindungen hauptsächlich über die Atemwege aufgenommen. Aufnahme über den Magen-Darm-Trakt ist ebenfalls möglich, jedoch in der Regel weniger gefährdend. Bleialkyle werden leicht durch die Haut resorbiert. Konzentration und Verweildauer im Blut kreisender Bleiverbindungen (sog. Bleistrom) und ihre Löslichkeit in den Körpersäften sind für die Erkrankung maßgebend. Die Bleialkyle haben infolge ihrer Lipoidlöslichkeit eine besondere Affinität zum Gehirn und anderen lipoidreichen Organen.
Blei schädigt zelluläre Elemente durch Inaktivierung von Enzymen. Besonders werden der Porphyrinstoffwechsel, die Blutbildungsstätten, der Verdauungstrakt, das Gefäßsystem sowie das zentale und periphere Nervensystem betroffen.
Blei wird als relativ stabiles Bleiphosphat in Knochen abgelagert (sog. Depotblei) und u. U. dort wieder mobilisiert. Vorübergehende Anreicherung in Leber, Milz und Nieren ist möglich. Die Ausscheidung erfolgt in Stuhl und Urin.
Erkrankungszeichen treten dann auf, wenn der Organismus nicht mehr fähig ist, das meistens innerhalb eines längeren Zeitraumes aufgenommene Blei auszuscheiden oder abzulagern.

III. Krankheitsbild und Diagnose
A.
Die akute Erkrankung infolge beruflich bedingter Einwirkung von Blei oder seinen anorganischen Verbindungen ist relativ selten. In der Regel handelt es sich um chronische oder subchronische Erkrankungen.
Folgende Entwicklungsstadien, die sich auch überschneiden können, kann man unterscheiden:
1. Klinisch stummes Vorstadium („Bleiträger“),
2. kritisches Anfangsstadium („Präsaturnismus„),
3. ausgeprägte Bleierkrankung („Saturnismus„),
4. Spätkrankheiten.
Zu 1:
Im klinisch stummen Vorstadium kommt es zunächst zu einer verstärkten Koproporphyrin-(III)-Ausscheidung im Urin. Es folgt eine Vermehrung basophil getüpfelter Erythrocyten („Tüpfelzellen“) und evtl. ein Absinken des Hämoglobins. Der Bleispiegel im Blut ist meistens erhöht.
Selten zeigt sich schon jetzt im Zahnfleischrand ein schwarzblauer bis schiefergrauer Saum, der sog. Bleisaum; dabei sind differential diagnostisch Paradentose, Melanose des Zahnfleisches und Veränderungen durch Einwirkung anderer Metallverbindungen zu erwägen.
Auch erste Anzeichen des sog. Bleikolorits, wie „schlechtes Aussehen“, übergehend in eine charakteristisch graugelbe Verfärbung, insbesondere der Gesichtshaut, sind zu erkennen. Herabgesetzter Turgor, subikterische Skleren und blasse Schleimhäute können vorhanden sein.
Zu 2:
Zum kritischen Anfangsstadium („Präsaturnismus„) gehören allgemeine Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit, Reizbarkeit, Kopfschmerzen in Stirn- und Schläfengegend, Schwindel, Schwächegefühl in den Gliedern sowie Obstipation und andere Magen-Darm-Störungen.
Zu 3:
Anzeichen der ausgeprägten Bleierkrankung („Saturnismus„) sind neben den in „zu l“ und „zu 2“ genannten, mit der Schwere der Erkrankung im allgemeinen zunehmenden Krankheitssymptomen und pathologischen Laboratoriumsbefunden insbesondere die sog. Bleikoliken. Dabei handelt es sich um heftige, oft tagelang dauernde, auf- und abschwellende Schmerzattacken, vorwiegend im Oberbauch mit Obstipation, Brechreiz oder Erbrechen. Häufig besteht eine Anämie. Ulcera im Magen oder Zwölffingerdarm können gelegentlich auftreten. Differentialdiagnostisch sind Ileus, Appendictis und Chlolecystophatie u. a. in Betracht zu ziehen.
Die Lähmung peripherer, motorischer Nerven (sog. Bleilähmung) wird heute kaum mehr beobachtet. Es kam dabei zu einer allmählich zunehmenden Schwäche, insbesondere der Streckermuskulatur des Unterarmes, und schließlich zur Radialislähmung. Auch Lähmungen im Bereich der Schulter- oder Beinmuskulatur, in der Regel einseitig, sind gelegentlich vorgekommen.
Als Folge einer massiven Exposition können Anzeichen einer akuten Encephalopathie, wie starke Kopfschmerzen, meningitische Reizerscheinungen, passagere Verwirrtheitszustände, Gesichtszuckungen und Funktionsstörungen im Bereich der Hirnnerven auftreten. Rasche Mobilisation der sog. Bleidepots kann ähnlich wirken.
Zu 4:
Spätkrankheiten, wie Schrumpfniere oder chronische Encephalopathie, sind beschrieben worden. Diese können aber nur im Zusammenhang mit der Bleieinwirkung gesehen werden, wenn eine langzeitige und erhebliche Exposition stattgefunden hat, charakteristische Bleierkrankungsmerkmale vorhanden waren und andere Ursachen hierfür nicht bestehen.

B.
Bei Einwirkungen von organisch gebundenem Blei, insbesondere von Bleialkylen, wie Bleitetraäthyl (TEL) oder Bleitetramethyl (TML), können Zentralnervensystem, Leber und Nebennieren geschädigt werden. Oft ist es eine akute Erkrankung, die eine bis zwölf Stunden nach Einwirkung dieser Stoffe auftritt und unter den Anzeichen einer akuten Psychose in kurzer Zeit tödlich verläuft. Bei weniger schwerer Vergiftung kommt es zu starker Abmagerung und Symptomen wie bei Einwirkung anorganischer Bleiverbindungen. Schlafstörungen, Schreckträume, Appetitlosigkeit, Körperschwäche, Magen-, Darm- und hypotone Kreislauffunktionsstörungen können Folgen einer Exposition sein, die nach deren Wegfall wieder abklingen.

IV. Hinweise für die ärztliche Beurteilung
Dem Ergebnis der eingehenden Arbeitsanamnese kommt besondere Bedeutung zu, zumal die „Bleierkrankung“ bei Fehlen charakteristischer Befunde Symptome aufweist, wie sie bei vielen anderen Erkrankungen ebenfalls vorkommen.
Die Ergebnisse exakter Laboratoriumsuntersuchungen können besonders wertvoll sein, dürfen aber in ihrer Bedeutung für die Diagnostik nicht überschätzt werden, insbesondere dann nicht, wenn klinische Erkrankungszeichen fehlen.
Auf die Verwendung bleifreier Reagenzgläser ist zu achten. Nicht Injektionsspritzen benutzen, deren Teile mit bleihaltigem Zinn gelötet sind.
Folgende Untersuchungen können dabei von Wichtigkeit sein, wobei ihr Ergebnis evtl. mehrfach kontrolliert werden sollte:

a) Die mikroskopische Zählung der basophil getüpfelten Erythrocyten („Tüpfelzellen“), gefärbt nach Manson oder Pappenheim (oberer Grenzwert: 10 grobe „Tüpfelzellen“ in 50 Gesichtsfeldern).Es ist zu beachten, daß „Tüpfelzellen“ auch bei anderen pathologisch gesteigerten Regenerationsvorgängen im Organismus mäßig vermehrt sein können.
b) Die (Kopro-)Porphyrinbestimmung im Urin nach einer der Schnellmethoden von Brugsch, De Langen oder Hoschek.Sie beruhen auf dem Nachweis und der Bewertung der Rotfluoreszenz in ultraviolettem Licht. Deutliche Rotfluoreszenz spricht für gesteigerte Porphyrinausscheidung. Methodisch bedingte Fehlerbreite und Schwankungen in der Ausscheidung sollten berücksichtigt werden, nach Bleieinwirkung sind vor allem die Porphyrin-Vorstufen vermehrt, die erst nach entsprechender Vorbereitung fluoreszieren und dadurch nachweisbar werden.Schwere hämolythische Zustände, Lebererkrankungen und die Einwirkung anderer chemischer Substanzen können ebenfalls zu einer Vermehrung des Koprophyrins im Urin führen. Bei den sog. Porphyrinopathien kommt neben anderen Porphyrinen auch Koproporphyrin im Urin vor.
c) Der Bleigehalt in Blut, Urin und Stuhl, festgestellt in einem hierfür entsprechend eingerichteten Laboratorium.
Sehr hohe Bleiwerte, die nach beruflich bedingter Einwirkung relativ geringer Dosen oder erst mehrere Monate nach einer beruflichen Exposition festgestellt werden, können durch eine Bleiaufnahme verursacht worden sein, die nicht mit der beruflichen Tätigkeit zusammenhängt.

Merkblatt zur Berufskrankheit Nummer 11011

Quelle: 1 Universität Rostock – Medizinische Fakultät
Institut für Präventivmedizin

Krankheit, die durch die berufliche, versicherte Tätigkeit verursacht worden ist