Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen Systems durch Benzol
Zu den Nummern 1101 bis 1110, 1201 und 1202, 1303 bis 1309 und 1315:
Ausgenommen sind Hauterkrankungen. Diese gelten als Krankheiten im Sinne dieser Anlage nur insoweit, als sie Erscheinungen einer Allgemeinerkrankung sind, die durch Aufnahme der schädigenden Stoffe in den Körper verursacht werden, oder gemäß Nummer 5101 zu entschädigen sind.
Berufskrankheit Nr. 1318
Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen Systems durch Benzol
Bek. des BMAS vom 30.12.2009 – IVa4-45222-1318
- GMBl 5/6/2010, S. 94 ff.
Der Ärztliche Sachverständigenbeirat “Berufskrankheiten” beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat das nachstehende Merkblatt zu der Berufskrankheit mit der vorgenannten Legaldefinition verabschiedet, das hiermit bekannt gemacht wird.
I. Vorkommen und Gefahrenquellen
Benzol ist der einfachste aromatische Kohlenwasserstoff. Seine Summenformel lautet C6H6. Benzol ist in praktisch allen fossilen Brennstoffen enthalten und fällt bei der Destillation von Kohle und Erdöl sowie bei der unvollständigen Verbrennung (Pyrolyse) von organischem Material an. Es ist auch im Tabakrauch und in den Abgasen von Kraftfahrzeugen enthalten.
Benzol ist im Ottokraftstoff enthalten. Ausgehend von der Zahl der betroffenen Personen ist infolgedessen der Umgang mit Ottokraftstoff heute die wichtigste Expositionsquelle sowohl für Beschäftigte als auch für die Allgemeinbevölkerung, obwohl der Benzolgehalt in Kraftstoffen mittlerweile auf unter 1 Vol. – % beschränkt ist. Zu beachten sind auch Verunreinigungen und Beimischungen zum Dieselkraftstoff, etwa beim „Winterdiesel“. Der Umgang mit Ottokraftstoff ist nicht nur im Treibstofftransport und -handel oder im Kraftfahrzeuggewerbe von Relevanz, sondern z. B. bei der Verwendung von benzinbetriebenen Motorsägen und Mähgeräten. Einer besonderen Gefährdung können Tankreiniger ausgesetzt sein, insbesondere bei unzureichender Schutzausrüstung und bei der Innenreinigung großer Behälter.
Aufgrund der krebserzeugenden Wirkung dürfen heute am Arbeitsplatz ansonsten nur noch Zubereitungen verwendet werden, die weniger als 0,1 % Massengehalt Benzol enthalten. Diese Beschränkungen dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Benzol als Grundstoff und Zwischenprodukt in der Herstellung von Ethylbenzol, Styrol, Cumol und Cyclohexan (Ausgangsstoffe in der Kunststoff- und Kunstfaserherstellung), Gummi, Schmiermittel, Farbstoffe, Detergentien, Medikamente, Sprengstoffe und Pestizide in Deutschland und weltweit seit Jahrzehnten an Bedeutung gewinnt und die Produktionszahlen jährlich um durchschnittlich 4,4 % steigen. Die Produktion von Reinbenzol betrug im Jahr 2007 in Deutschland 2,3 Millionen Tonnen (VCI 2008) und weltweit ca. 40 Millionen Tonnen; hinzu kommen Verunreinigungen in anderen organischen Chemikalien und in Gemischen. Trotz geschlossener Anlagen ergibt sich hieraus ein potentielles Expositionsrisiko in entsprechenden Produktionsbereichen.
Bei der Verbrennung von organischen Verbindungen und Polymeren kann es zur unerwünschten Bildung von Benzol kommen, z. B. in Gießereien beim Abgießen von Formen (aus org. Bindemittel), in Motoren und Auspuffsystemen (aus Alkylbenzolen oder Acetylen), beim Laserschneiden von speziellen Kunststoffen.
Im Hinblick auf die Berufskrankheit Nr. 1318 ist zu beachten, dass benzolhaltige Produkte in früheren Jahrzehnten als preiswerte und effektive organische Lösungsmittel in zahlreichen Gewerbebereichen und im Handwerk zur Anwendung kamen. So wurden diese in großem Umfang als Löse- und Reinigungsmittel in u. a. Druckereien, Waffenfabriken, metallverarbeitenden und anderen Betrieben sowie als Verdünner von flüssigen Klebern – insbesondere für die Herstellung und Reparatur von Schuhen – verwendet. Zu beachten ist auch der Benzolgehalt von technischen Benzingemischen (Waschbenzin, Reinigungsbenzin, Testbenzin), der bis in die 1970er Jahre vereinzelt auch ohne entsprechende Kennzeichnung bis zu 30 % oder höher betragen konnte. Hiervon betroffen waren u. a. Betriebe der Elektro- und Elektronikindustrie. Lacke und Farben sowie die bei ihrer Anwendung gebrauchten Verdünner konnten relevante Anteile von Benzol enthalten. Auch technische Xylole, Toluol und andere aromatische Kohlenwasserstoffe konnten Benzol in relevanter Quantität enthalten.
Die Aufnahme von Benzol in den Körper erfolgt sowohl über die Atmung als auch über die Haut. Zu beachten sind daher Arbeiten unter ungünstigen arbeitshygienischen Bedingungen mit großflächiger Benetzung der Haut. So wurde früher in Kokereien das anfallende Rohbenzol gerne zur Reinigung der Hände verwendet. Insbesondere im Kraftfahrzeug-Gewerbe wurde Ottokraftstoff neben der Händereinigung mitunter zur Entfettung von Oberflächen vor der Lackierung oder zur Reinigung von Kleinteilen (z. B. Vergaser) verwendet. Einen Überblick zu den wichtigsten benzolhaltigen Produkten und zur Verwendung von Benzol in zahlreichen Industrie- und Gewerbebereichen bieten die „Anwendungshinweise zur retrospektiven Beurteilung der Benzolexposition“ in der jeweils aktuellen Fassung des BGIA-Ringbuchs unter der Nr. 9105 (BGIA 2008).
II. Pathophysiologie
Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ist die gesundheitsschädliche Wirkung von Benzol bekannt. Bei akuten hohen Belastungen treten neurotoxische Wirkungen, gastrointestinale Symptome und Herzrhythmusstörungen auf. Benzol ist auch haut- und Schleimhautreizend. Diese akuten Wirkungen sind nicht Gegenstand der BK Nr. 1318.
Benzolexpositionen wirken toxisch auf das blutbildende Knochenmark. Die Folge ist eine Verminderung der Zahl der weißen Blutzellen (Leukozyten), der roten Blutzellen (Erythrozyten) und der Blutplättchen (Thrombozyten) einzeln und in Kombination. Neuere Untersuchungen an benzolexponierten Beschäftigten haben gezeigt, dass diese Knochenmarksdepression bereits bei Einatmung von Benzolkonzentrationen unterhalb 1 ml pro m³ (unter 1 ppm) stattfindet. Dabei reagieren die weißen Blutzellen am empfindlichsten auf Benzol. Infolge der Wirkung auf weiße Blutzellen, insbesondere Lymphozyten, ist Benzol auch immuntoxisch.
Benzol ist in Deutschland und in praktisch allen Industrienationen als gesichert krebserzeugend für den Menschen eingestuft. Die krebserzeugende Wirkung wird von Stoffwechselprodukten verursacht, die im Organismus beim Benzolabbau gebildet werden.
Die Oxidation von Benzol zu reaktiven Zwischenprodukten ist eine Voraussetzung für dessen Toxizität und kanzerogenität. Als erstes Zwischenprodukt wird das Benzolepoxid gebildet, woraus spontan Phenol entsteht. Phenol hydroxyliert weiter zu Hydrochinon, Brenzkatechin (Catechol), 1,4-Benzochinon und Trihydroxybenzol. Diese phenolischen Metaboliten des Benzols führen zur Bildung reaktiver Sauerstoffspezies (ROS) und verursachen oxidative DNA-Schäden. Darüber hinaus bilden sie Radikale, die über epigenetische Mechanismen, nämlich eine Hemmung der Topoisomerase II und die Bildung von Tubulin, klastogen (chromosomenschädigend) wirken. Diese molekularbiologischen Mechanismen liegen der krebserzeugenden Wirkung von Benzol zugrunde und sind aktuell weltweit Gegenstand intensiver toxikologischer Forschung. Besonders empfindlich für die klastogenen Wirkungen sind Zellen mit einer hohen Teilungsaktivität, insbesondere die Stammzellen des Knochenmarks, aber auch Lymphozyten, da letztere im Rahmen der Immunabwehr ständig ihre Erbinformation verändern und den Bedrohungen anpassen.
Für die Entstehung der letztendlich krebserzeugenden Radikale wird dem Enzym Myeloperoxidase (MPO), welches in verschiedenen weißen Blutzellen in großen Mengen exprimiert wird, eine wesentliche Rolle zugeschrieben. Gegenspieler der Myeloperoxidase im Benzolstoffwechsel ist die Chinonoxidoreduktase (NQO1). Etwa 4 % der mitteleuropäischen Bevölkerung besitzen genetisch keine Aktivität dieses entgiftenden Enzyms und haben infolgedessen nachgewiesenermaßen eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Benzol.
Neben den beschriebenen kanzerogenen Eigenschaften hat Benzol promovierende (tumorfördernde) und weitere epigenetische Wirkungen. Insbesondere bewirkt die Knochenmarksdepression, also die Unterdrückung der normalen Blutbildung durch Benzol, einen zusätzlichen Proliferationsvorteil der für äußere Signale unempfindlichen Tumorzellen gegenüber den gesunden Zellen.
III. Krankheitsbild und Diagnose
Aufgrund der Vielfalt der Krankheitsbilder und der möglichen Ursachenfaktoren und Differentialdiagnosen ist eine exakte Diagnosestellung auf hämatologischem Fachgebiet unverzichtbar. Bei malignen Erkrankungen (Leukämien, Non-Hodgkin-Lymphome, myelodysplastische und myeloproliferative Syndrome, aplastische Anämie) ist eine histologische Sicherung erforderlich. Grundsätzlich können durch eine berufliche Benzolexposition neben der toxischen Knochenmarksdepression alle malignen Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen Systems hervorgerufen werden.
Der Morbus Hodgkin (Synonym: Lymphogranulomatose) ist nicht Gegenstand der BK Nr. 1318.
Zur Bewältigung der Vielfalt der Aufgaben im Rahmen der unspezifischen und spezifischen körpereigenen Abwehr (Immunität) entsteht aus den Stammzellen des Knochenmarks eine Vielzahl hochspezialisierter (differenzierter) Zellformen insbesondere des weißen Blutbilds. Entsprechend vielfältig sind infolgedessen die hieraus entstehenden malignen Krankheitsbilder; allein die Non-Hodgkin-Lymphome weisen inzwischen mindestens 42 Formen auf.
Folgende Krankheitsbilder können durch eine berufliche Belastung mit Benzol verursacht werden:
1. Toxische Knochenmarksdepression
Hierzu gehören Verminderungen der Zellzahl einer oder mehrerer Kompartimente des peripheren Blutes, also die Leukopenie und deren Teilentitäten Granulozytopenie und Agranulozytose, die Lymphopenie, die Anämie, die Thrombozytopenie, die Pancytopenie (Panmyelophthise). Eine isolierte Anämie ist allerdings für eine Benzolwirkung untypisch und lässt andere Ursachen vermuten. Die toxische Knochenmarksdepression durch Benzol tritt während der Dauer der beruflichen Exposition auf und ist meist bei Expositionskarenz reversibel, wenn auch die Dauer der Erholung des Blutbildes sehr unterschiedlich sein kann. Eine sorgfältige Krankheitsanamnese unter Heranziehung früher erhobener Laborbefunde ist wichtig, z. B. zur Klärung der Frage, ob bei Expositionsende noch ein normales Blutbild vorlag.
2. aplastische Anämie (AA) und Myelodysplastisches Syndrom (MDS)
Die aplastische Anämie und das myelodysplastische Syndrom (MDS) sind als Frühstadien einer malignen Erkrankung anzusehen. Letzteres wurde früher auch als „Präleukämie“ bezeichnet. Da es sich beim MDS um klonale Stammzellenerkrankungen handelt, stellt es per se eine maligne Erkrankung des hämatopoetischen Systems dar. Innerhalb von 5 Jahren gehen ca. 15 % aller aplastischen Anämien in ein MDS oder eine akute myeloische Leukämie (AML) über, wobei Myelodysplasien wiederum in ca. 30 % in eine akute myeloische Leukämie übergehen.
Die aplastische Anämie imponiert als Knochenmarksversagen mit Aplasie bzw. Hypoplasie des Knochenmarks und Panzytopenie (Verminderung der weißen und roten Blutzellen sowie der Blutplättchen). Der Begriff „Anämie“ ist irreführend, da alle drei Zellarten des Blutbildes betroffen sind, am ehesten sogar die Leukozyten.
3. Leukämien
Durch die Expansion eines malignen Zellklons kommt es zur diffusen autonomen Proliferation einer Leukozytenrasse, zur generalisierten Ausbreitung derselben im blutbildenden Knochenmark und zur Ausschwemmung leukämischer Zellen ins Blut, eventuell auch zur Infiltration extramedullärer (außerhalb des Knochenmarks befindlicher) Organe. Im peripheren Blutbild besteht meist eine Vermehrung der Leukozyten, allerdings können Leukämien auch eine verminderte Leukozytenzahl bzw. ein „aleukämisches Blutbild“ aufweisen.
Folgende 3 Krankheitsbilder werden unterschieden:
- Akute Leukämie [akute lymphatische Leukämie (ALL), akute myeloische Leukämie(AML)]
- Chronische myeloische Leukämie (CML)
- Chronische lymphatische Leukämie (CLL)
Während alle Leukämien einen Häufigkeitsgipfel im hohen Lebensalter haben (Anstieg nach dem 40. Lebensjahr) hat die ALL einen weiteren Gipfel im Kindesalter und stellt die weitaus wichtigste Leukämieform bei Kindern dar. Nach der in der klinischen Hämatologie üblichen WHO-Nomenklatur wird die CML zu den myeloproliferativen Syndromen und die CLL zu den Non-Hodgkin-Lymphomen gerechnet. Die akute myeloische Leukämie (AML) ist die erste maligne Bluterkrankung, für die Benzol als Kausalfaktor identifiziert wurde und zur Einstufung der Chemikalie als Humankanzerogen führte; sie stellt daher den Prototyp der benzolverursachten Leukämie dar.
4. Non-Hodgkin-Lymphome (NHL)
Hierbei handelt es sich um maligne klonale Neoplasien, die von den B- oder (seltener) T-Lymphozyten des lymphatischen Gewebes ausgehen. Typischerweise treten erhebliche Schwellungen von Lymphknoten oder Lymphknotenpaketen (Lymphome) auf, es können
- aber auch diffuse lymphatische Ausbreitungen in inneren Organen (z. B. Magen) oder in der Haut vorkommen. Hierzu gehört auch das Maligne Myelom (Plasmozytom), welches sich zuerst im Knochenmark manifestiert. Einige NHL haben ein leukämisches Erscheinungsbild und manifestieren sich dementsprechend im Blutbild und im Knochenmark. Aufgrund der Vielfalt der einzelnen NHL-Formen wird in diesem Merkblatt auf eine Auflistung und Beschreibung der einzelnen Entitäten verzichtet; diesbezüglich wird auf die hämatologischonkologische Literatur verwiesen.
5. Myeloproliferative Erkrankungen
Bei den myeloproliferativen Erkrankungen handelt es sich um monoklonale Erkrankungen der myeloischen Stammzellen mit autonomer Proliferation einer oder mehrerer hämatopoetischer Zellreihen (Leuko-, Erythro-, Thrombozytose). Die myeloproliferativen Erkrankungen umfassen nach der WHO-Klassifikation sieben Krankheitsentitäten: - Chronisch myeloische Leukämie (siehe auch unter Leukämien)
- Polycythaemia vera
- Essentielle Thrombozythämie
- Osteomyelosklerose (idiopathische Myelofibrose)
- Chronische neutrophile Leukämie
- Chronische eosinophile Leukämie
- Chronische myeloproliferative Erkrankung, nicht klassifizierbar
IV. Weitere Hinweise
1. Wegen der schwierigen Abgrenzung der „bestimmten Personengruppe“ nach § 9 Abs. 1 SGB VII (siehe hierzu die Wissenschaftliche Begründung zur BK Nr. 1318, BMAS 2007) ist die Angabe eines Dosisgrenzwertes für die Anerkennung der Berufskrankheit nicht möglich. Die folgenden Hinweise für die Einzelfallprüfung beruhen auf der bestverfügbaren aktuellen wissenschaftlich medizinischen Datenlage.
Aus der Zuordnung zu einem bestimmten Krankheitsbild ergeben sich für die Kausalitätsprüfung im Einzelfall unterschiedliche Anforderungen an die Belastung. Zunächst ist zu unterscheiden zwischen nichtmalignen toxischen (Knochenmarksdepression) und malignen Erkrankungen. Hinsichtlich der Abgrenzung der betroffenen Personengruppe sind die malignen Krankheitsbilder in zwei Gruppen eingeteilt (Tabelle 1):
Gruppe A: Krankheitsbilder mit epidemiologischer Information zur Dosis-Wirkungsbeziehung
Für diese Gruppe von Erkrankungen besteht der epidemiologische Nachweis einer Verdoppelung des Erkrankungsrisikos gegenüber der Allgemeinbevölkerung bei einer entsprechend hohen kumulativen beruflichen Benzolexposition. Aufgrund der Vulnerabilität und Proliferation der hämatopoetischen Stammzellen werden stammzellnahe Non-Hodgkin-Lymphome trotz unzureichender epidemiologischer Datenlage ebenfalls dieser Gruppe zugeordnet. Die Wissenschaftliche Begründung zur BK Nr. 1318 (BMAS 2007) enthält hierzu nähere Angaben sowie eine Beschreibung und Klassifizierung relevanter benzolbelasteter Arbeitsbereiche und Tätigkeiten. Weitere Belastungsmöglichkeiten komplexer Art (kombinierte inhalative und dermale Belastung, wechselnde Tätigkeiten), können im Einzelfall nur durch eine differenzierte Arbeitsanamnese unter Einschluss einer Berechnung der ppm-Jahre richtig beschrieben werden.
Gruppe B: Krankheitsbilder ohne ausreichende epidemiologische Information zur Dosis-Wirkungsbeziehung
Diese Erkrankungen können auch durch eine berufliche Benzolexposition verursacht und infolgedessen als BK Nr. 1318 entschädigt werden. Wegen der schwierigen Abgrenzung der betroffenen Personengruppe ist allerdings eine besonders hohe Intensität oder eine besonders lange Dauer der beruflichen Benzolexposition gefordert. Hierzu sind in der Wissenschaftlichen Begründung zur BK Nr. 1318 entsprechende Hinweise enthalten. Auch für diese Gruppe von Erkrankungen ist eine differenzierte Erhebung der Arbeitsanamnese mit Zuordnung der Tätigkeiten zu den in der Wissenschaftlichen Begründung spezifizierten Belastungsintensitäten und gegebenenfalls eine Ergänzung durch quantitative Informationen angezeigt.
Auf jeden Fall sollte für Personen mit Krankheitsbildern der Gruppe B, gegebenenfalls aber auch für die Gruppe A, eine Bewertung der individuellen Expositionsbedingungen erfolgen. Zu berücksichtigen sind z. B. besonders intensiver Hautkontakt mit Benzol oder benzolhaltigen Gemischen, besondere Expositionsintensität im jugendlichen Alter (aufgrund wissenschaftlicher Belege für eine besondere Benzolempfindlichkeit im Kindesalter), unzulängliche Arbeitsschutzbedingungen, sowie weitere individuelle, auch medizinische Gefährdungsfaktoren.
2. Die Aufnahme von Benzol am Arbeitsplatz erfolgt inhalativ und durch die Haut. Zur quantitativen Bedeutung der dermalen Aufnahme gibt die Wissenschaftliche Begründung dieser Berufskrankheit nähere Hinweise (BMAS 2007). Besonders problematisch sind der Gebrauch von Benzol oder von benzolhaltigen Flüssigkeiten (z. B. Ottokraftstoff) zur Reinigung der Hände oder zur Säuberung bzw. Entfettung größerer Oberflächen mit einem durchtränkten Lappen.
3. Als konkurrierende Kausalfaktoren für die toxische Knochenmarksdepression durch Benzol sind insbesondere blutbildverändernde Medikamente und Störungen der Blutbildung durch Vitaminmangel zu beachten; differentialdiagnostisch können z. B. hämolytische Anämien und Tumoranämien eine Reduktion der Zellzahlen im peripheren Blut bewirken. Als konkurrierende Risikofaktoren für Leukämien und Non-Hodgkin-Lymphome sind unter anderem Infektionen mit lymphotropen Viren (insbesondere HIV, HTLV, aktuelle Eppstein-Barr-Infektion) von Bedeutung. Das Auftreten primär extranodaler Lymphome des gastrointestinaltraktes ist meist auf außerberufliche Ursachen zurückzuführen; so sind nach heutiger Kenntnis ca. 90 % der niedrigmalignen MALT-Lymphome des Magens Folge einer chronischen Infektion mit Helicobacter pylori, während das Enteropathie-assoziierte T-Zell-Lymphom als Komplikation einer glutensensitiven Enteropathie angesehen wird. Die Bewertung dieser und weiterer medizinischer Aspekte obliegt der Begutachtung.
4. Die Berufskrankheit Nr. 1318 umfasst ausschließlich Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen Systems durch Benzol. Diese wurden bisher neben anderen Erkrankungen unter der BK Nr. 1303 entschädigt.
Durch Benzol am Arbeitsplatz verursachte Erkrankungen des Nervensystems sind gegebenenfalls nach der BK Nr. 1317 zu entschädigen, Erkrankungen anderer Organe durch Benzol (z. B. Niere, Leber) nach BK Nr. 1303, ebenso wie weiterhin auch Erkrankungen durch Benzolhomologe (z. B. Toluol, Xylole) oder Styrol.
V. Literatur
BGIA-Ringbuch Arbeitsanamnese, Belastungen am Arbeitsplatz. Nr. 9105: Anwendungshinweise zur retrospektiven Beurteilung der Benzolexposition (2006) Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2007): Wissenschaftliche Begründung für die Berufskrankheit „Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen Systems durch Benzol“. Bekanntmachung des BMAS vom 1.9.2007 -IVa4-45222-1318-, Gemeinsames Ministerialblatt 2007, Nr. 49-51, S. 974-1015
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Merkblatt zur Berufskrankheit Nummer 13181
Quelle: 1 Universität Rostock – Medizinische Fakultät
Institut für Präventivmedizin