Bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Kokereirohgase
Frage: Warum wurde diese Listennummer nur auf Kokereirohgase bezogen, obwohl ähnliche Belastungen in Gießereien, im Straßenbau etc. vorkommen können, was die polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe anbetrifft?
(„Lungenkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100 Benzo(a)pyren-Jahren“ soll bis zur Aufnahme in die Berufskrankheitenliste „wie eine Berufskrankheit nach neuer Erkenntnis im Einzelfall“ zu entschädigen sein, § 9 Abs. 2 SGB VII.)
Aber zurück zu den bösartigen Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Kokereirohgase. Man unterscheidet je nach Höhe der Einwirkung der Temperaturen die Schwelung (450 bis 700 Grad) und die Verkokung (über 700 Grad), die Entgasung der Kohle beginnt bereits vor der Schwelung. Bei 100 bis 350 Grad tritt eine Vorentgasung ein. Es entweichen Wasserdampf, Sauerstoff, Kohlenmonoxyd, Kohlendioxyd, Methan und Stickoxyde. Bei höheren Temperaturen (bis 500 Grad) vollzieht sich die Hauptentgasung. Hier beginnt die thermische Zersetzung (Pyrolyse), bei der unter anderem eine Vielzahl von Kohlenwasserstoffen entsteht, darunter bei höheren Temperaturen auch polyzyklische aromatische Verbindungen (PAH). In den heute überwiegend eingesetzten Horizontalkammeröfen werden Koksendtemperaturen von 1.000 Grad und mehr erreicht. Die Gase am Ofenblock stammen aus allen Temperaturbereichen, die bis zu den Höchststufen der Kohleerhitzung durchlaufen werden. Das bei der Kohleverkokung erzeugte Rohgas wird in einem geschlossenen System auf Umgebungstemperatur abgekühlt, gereinigt und als Stadtgas (Brenngas) für Verbrennungszwecke abgegeben. Unter dem Ausdruck Kokereirohgase im Sinne dieser Berufskrankheit werden sowohl das so bezeichnete technische Produkt als auch Luftverunreinigungen verstanden, die beim Betreiben der Öfen, insbesondere beim Beschicken und Entladen der Kammern, aber auch aufgrund von Kammerundichtigkeiten am Ofenblock frei werden. Gefährdungen ergeben sich für das am Ofenblock und in seiner unmittelbaren Umgebung eingesetzte Personal, insbesondere Füllwagenfahrer, Einfeger (Deckenmann), Steigrohrreiniger, Teerschieber, Druckmaschinenfahrer, Kokskuchenführungswagenfahrer bzw. Koksüberleitungsmaschinist, Löschwagenfahrer, Türmann, Rampenmann. Mit Gefährdungen ist auch bei der Wartung von Rohgasleitungen zu rechnen, wenn solche Arbeiten regelmäßig durchzuführen sind und die Möglichkeit des Freiwerdens von Gasen besteht. Die Kokereigase enthalten eine Reihe krebserzeugender Substanzen, wie es heißt. Von besonderer Bedeutung für bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen sind PAH-Gemische. Die Atemwegstumoren durch Kokereirohgase unterscheiden sich in Verlauf und Systematik nicht von solchen anderer Verursachung.
Vorsicht: Trotzdem versucht man in Berufskrebsfällen der Atemwege immer wieder gutachterlich, andere Belastungen wie etwa das Rauchen (wörtlich) abzugrenzen, als ob nicht wesentliche Mitursächlichkeit der beruflichen Noxe bzw. Gefährdung ausreicht und der Gedanke, daß wesentliche Mitursächlichkeit der beruflichen Ursache genügt, voraussetzt, daß man die Ursachen hier nicht teilen bzw. abgrenzen kann.
Zu recht wird dann im Merkblatt am Ende festgehalten, daß hier eine synkanzerogenese vorliegen kann.
Tip: Die Formulierung in einem Ablehnungsbescheid der Berufsgenossenschaft, man könnte die berufliche Gefährdung nicht von der privaten Gefährdung abgrenzen, beinhaltet immer einen Fehlansatz, und zwar einen ganz kapitalen Fehlansatz. Bei ein und demselben Ergebnis können ohne weitere Hinweise nicht die verschiedenen Kausalketten geteilt werden. Bei wesentlicher Mitursächlichkeit der beruflichen Ursache besteht Anspruch auf volle Entschädigung durch die Berufsgenossenschaft (Gedanke der Totalreparation).
Zur Statistik:
Jährlich werden über 30 Fälle neu angezeigt und knapp 20 neu berentet. Die Zahl der tödlichen Fälle bewegt sich auch auf die 20 Fälle zu. Die Dunkelziffer dürfte erheblich höher liegen. Nicht eingerechnet sind offenbar bei diesen Fällen die Fälle einer PAH- bzw. PAK-Belastung in Teerraffinerien, in der Elektrographitindustrie, in der Aluminiumherstellung, in der Eisen- und Stahlerzeugung, in Gießereien, im Straßenbau, beim Dachdecken und die Belastung der Schornsteinfeger.
Berufskrankheit Nr. 4110
(Bek. des BMA v. 11. Oktober 1989, BArbBl. 2/1990)I. Vorkommen und Gefahrenquellen
Man unterscheidet je nach Höhe der einwirkenden Temperaturen die Schwelung (450 bis 700° C) und die Verkokung (über 700° C). Die Entgasung der Kohle beginnt bereits vor der Schwelung. Bei 100 bis 350° C tritt eine „Vorentgasung“ ein. Es entweichen Wasserdampf, Sauerstoff, Kohlenmonoxid, Kohlendioxid, Methan und Stickoxide. Bei höheren Temperaturen (bis 500° C) vollzieht sich die „Hauptentgasung“. Hier beginnt die thermische Zersetzung (Pyrolyse), bei der u. a. eine Vielzahl von Kohlenwasserstoffen entsteht, darunter bei höheren Temperaturen auch polyzyklische aromatische Verbindungen (PAH = polycyclic aromatic hydrocarbons). In den heute überwiegend eingesetzten Horizontalkammeröfen werden Koksendtemperaturen von 1OOO° C und mehr erreicht. Die Gase am Ofenblock stammen aus allen Temperaturbereichen, die bis zu den Höchststufen der Kohleerhitzung durchlaufen werden. Das bei der Kohleverkokung erzeugte „Rohgas“ wird in einem geschlossenen System auf Umgebungstemperatur abgekühlt, gereinigt und als „Stadtgas“ (Brenngas) für Verbrennungszwecke abgegeben. Unter dem Ausdruck „Kokereirohgase“ im Sinne dieser Berufskrankheit werden sowohl das so bezeichnete technische Produkt als auch Luftverunreinigungen verstanden, die beim Betreiben der Öfen, insbesondere beim Beschikken und Entladen der Kammern, aber auch aufgrund von Kammerundichtigkeiten am Ofenblock frei werden. Durch Leckagen aus den Öfen austretende Gase kühlen in der Außenluft rasch ab. Dabei kondensieren die PAH-Gemische. Sie lagern sich weitgehend anderen Schwebstoffpartikeln an. Gefährdungen ergeben sich für das am Ofenblock und in seiner unmittelbaren Umgebung eingesetzte Personal. Insbesondere gehören hierzu Tätigkeiten als
- Füllwagenfahrer,
- Einfeger (Decken-mann),
- Steigrohrreiniger,
- Teerschieber,
- Druckmaschinenfahrer,
- Kokskuchenführungswagenfahrer bzw. Koksüberleitungsmaschinist,
- Löschwagenfahrer,
- Türmann,
- Rampenmann.
Mit Gefährdungen ist auch bei der Wartung von Rohgasleitungen zu rechnen, wenn solche Arbeiten regelmäßig durchzuführen sind und die Möglichkeit des Freiwerdens von Gasen besteht.
II. Pathophysiologie
Die Kokereirohgase enthalten eine Reihe krebserzeugender Substanzen. Von besonderer Bedeutung für bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen sind PAHGemische. Entsprechend ihrem aerodynamischen Durchmesser werden solche Staubarten und Aerosole in verschiedenen Abschnitten der Atemwege deponiert. Es kann zu Kumulationen kommen und damit an solchen Stellen zu länger anhaltenden, auch über die Zeit der Exposition hinausreichenden Einwirkungen.
Die tracheobronchialen und lungengängigen Fraktionen können als wesentliche Ursache für Karzinome der tieferen Atemwege und der Lungen angesehen werden. Gröbere Partikel stellen Gefährdungen für die oberen Atemwege dar.
III. Krankheitsbild und Diagnose
Die Atemwegstumoren durch Kokereirohgase unterscheiden sich in Verlauf und Symptomatik nicht von solchen anderer Verursachung. Dies trifft auch für die histologische Differenzierung zu. Die diagnostische Abklärung hat sich zu orientieren an den allgemeinen Regeln zur Erkennung von Atemwegstumoren.
IV. Weitere Hinweise
Die Konzentration und Zusammensetzung von Kokereirohgasen an den einzelnen Arbeitsplätzen von Kokereien sind Schwankungen unterworfen. Sie sind abhängig von der Art der Kohle, der Garungszeit, von Witterungseinflüssen sowie von baulichen Bedingungen. Am ungünstigsten sind die Verhältnisse im Sommer und bei Windstille. Auch Überdachungen wirken sich bei ungenügender Belüftung ungünstig aus.
Wegen des langen Intervalls zwischen Beginn der beruflichen Einwirkung und der Tumormanifestation sollten auch ältere, heute nicht mehr gebräuchliche Verfahren der Kohleverkokung Beachtung finden, zumal das Gefährdungspotential dort meist höher einzuschätzen ist als bei den heute gebräuchlichen, in Blöcken zusammengefaßten Horizontalkammeröfen.
Die Tumoren treten im allgemeinen nach mehrjähriger (mindestens 2 Jahre) Exposition gegenüber Kokereirohgasen auf. Bei kürzerer Dauer als 2 Jahre sind an die Intensität der Exposition besonders hohe Anforderungen zu stellen.
Bei der Beurteilung des Risikos sind ggf. langjährige inhalative Rauchgewohnheiten als konkurrierender außerberuflicher Faktor angemessen zu berücksichtigen (synkanzerogenese).
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Merkblatt zur Berufskrankheit Nummer 41101
Quelle: 1 Universität Rostock – Medizinische Fakultät
Institut für Präventivmedizin