Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis, die einer Verursachungswahrscheinlichkeit von mindestens 50 Prozent nach der Anlage 2 entspricht
Berufskrankheit Nr. 4114
zur Berufskrankheit Nummer 4114„Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis, die einer Verursachungswahrscheinlichkeit von mindestens 50 Prozent nach der Anlage 2 entspricht“
Bek. des BMAS vom 30.12.2009 – IVa 4-45222-4114 – GMBl 5/6/2010, S. 107 ff.
Der Ärztliche Sachverständigenbeirat “Berufskrankheiten” beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat das nachstehende Merkblatt zu der Berufskrankheit mit der vorgenannten Legaldefinition verabschiedet, das hiermit bekannt gemacht wird.
I. Vorkommen und Gefahrenquellen
Diese Berufskrankheit bezieht sich auf arbeitsbedingte Expositionen gegenüber Asbestfaserstaub und zusätzlich gegenüber polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK). Diese können zeitlich zusammentreffen oder nacheinander erfolgen. Typische Arbeitsbedingungen, in denen beide Expositionen auftreten, finden sich zum Beispiel in folgenden Berufen/in folgenden Betrieben: Dachdecker, Parkettleger (im Rahmen von Abbrucharbeiten), Gießerei- und Stahlwerksarbeiter, Feuerungsmaurer, Kokereiarbeiter, Schornsteinfeger, Isolierer, Korrosionsschützer (insbesondere im Stahlwasserbau), Betriebsschlosser in Aluminiumhütten sowie in Betrieben zur Herstellung von Carbid. Ergänzend wird auf das Merkblatt zur BK-Nr. 4103 (Bundesarbeitsblatt 1991 Ausgabe 7-8 S. 74) und das Merkblatt zur BK-Nr. 4113 (GMBl 2010, S. 105) verwiesen.
II. Pathophysiologie
Die kanzerogenese sowohl des Asbestfaserstaubs als auch der PAK wurde in einer Vielzahl tierexperimenteller und epidemiologischer Studien bestätigt (BMAS 2007). Sowohl für PAK als auch für Asbest sind v. a. die Bronchialepithelzellen die Targetzellen ihrer jeweiligen klastogenen, transformierenden gentoxischen Wirkungen. Asbest und PAK bilden in Epithelzellen und Makrophagen der mittleren und tiefen Atemwege reaktive Sauerstoffspezies und generieren daraus resultierende oxidative DNS-Schäden. PAK und Asbest zeigen Mutagenität, sie wirken synergistisch sowohl im Transformationstest an Säugetierzellen in vitro als auch in der Lunge von Hamster und Ratte. Tierexperimentelle Untersuchungen zeigen ein Zusammenwirken von Krokydolith-Fasern und PAK bezüglich der Lungenkrebsentstehung.
Auch zwei epidemiologische Studien sprechen für eine derartige synkanzerogenese. Pastorino et al. 1984 fanden nach Stratifizierung bzgl. des Zigarettenrauchens ein relatives Risiko (RR) für eine ausschließliche PAK-Exposition von 1,6, für eine ausschließliche Asbestfaserexposition ein RR von 1,9 und für die Kombination von PAK und Asbestfasern ein RR von 3,3. Gustavsson et al. 2003 analysierten 1042 Lungenkrebsfälle. Das RR betrug für eine Asbestbelastung 1,61, für eine Exposition gegenüber Verbrennungsprodukten 1,67 und für die gemeinsame Belastung mit diesen beiden Stoffgruppen 2,24. Dabei finden sich sowohl multiplikativ als auch submultiplikativ synergistische Wirkungssteigerungen.
Die Studien belegen, dass die signifikante Risikoerhöhung sowohl für Raucher als auch für Nichtraucher gilt, so dass der außerberufliche Risikofaktor Aktivrauchen hinweg gedacht werden kann.
III. Krankheitsbild und Diagnose
Lungenkrebs infolge synkanzerogenese von Asbest und PAK unterscheidet sich in Klinik und Diagnose des individuellen Patienten nicht von Lungenkrebserkrankungen infolge Einwirkung einer dieser beiden kanzerogene oder infolge anderer Genese. Die Frühsymptome sind uncharakteristisch, häufig bestehen therapieresistenter Reizhusten, Belastungsdyspnoe, Bronchopneumonie, Haemoptysen. Eine frühzeitige zytologische oder histologische Klärung ist anzustreben. Feingeweblich werden alle bekannten Tumorformen gefunden. Differentialdiagnostisch sind Metastasen anderer maligner Erkrankungen abzugrenzen.
IV. Weitere Hinweise
Im Fall der synergistischen synkanzerogenese durch das Zusammenwirken der beiden gentoxischen K 1-Arbeitsstoffe Asbestfaserstaub und PAK besteht in der Regel eine mindestens additive Erhöhung des Lungenkrebsrisikos.
Als „bestimmte Personengruppe, die durch ihre Arbeit“ der besonderen Krebseinwirkung von Asbestfaserstaub und gleichzeitig oder nacheinander PAK in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt ist, gelten Versicherte, deren Lungenkrebsrisiko in Folge dieser beiden gentoxischen kanzerogene mindestens verdoppelt ist.
Der positive Wahrscheinlichkeitsbeweis der arbeitsbedingten synkanzerogenen Verursachung liegt vor, wenn die Verursachungswahrscheinlichkeit nach der Tabelle in Anlage 2 zur BKV mindestens 50 Prozent beträgt.
V. Literatur
- Blot W.J., Harrington J.M., Toledo A., Hoover R., Heath C.W. Jr., Fraumeni J.F. Jr.: Lung cancer after employment in shipyards during World War II. N Engl J Med 1978;299(12):620-624
- Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2007): Wissenschaftliche Begründung für die Berufskrankheit „Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen Kohlenwasserstoffen“. Bekanntmachung des BMAS vom 1.2.2007 – IV a 4-45222 -, GMBI 2007 (23): 474-495.
- Gustavsson P., Alhbom A., Anderson T., Schéele P.: Calculation of fractions of lung cancer incidence attributable to occupational exposure to asbestos and combustion products in Stockholm, Sweden. Eur J Epidemiol 2003;18:937-940
- Pastorino U., Berrino F., Gervasio A., Pesenti V., Riboli E., Crosignani P.: Proportion of lung cancers due to occupational exposure. Int J Cancer 1984;33(2):231-237
Merkblatt zur Berufskrankheit Nummer 41141
Quelle: 1 Universität Rostock – Medizinische Fakultät
Institut für Präventivmedizin