Rohbaumwolle-, Rohflachs-, Rohhanfstaub (tiefere Atemwege und Lungen)

Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Rohbaumwoll-, Rohflachs- oder Rohhanfstaub (Byssinose)

Wenngleich offenbar nicht häufig auftretend, handelt es sich doch um eine bemerkenswerte Bronchial-Lungen-Erkrankung, die durch Einatmung von Stäuben mit Pflanzenteilen auftritt, wie sie bei der Produktion von Textilien aus Rohbaumwolle, Rohflachs oder Rohhanf entstehen. Gefährdet sind Arbeiter, die in Vorreinigungsbereichen, Mischräumen, Putzereien, Batteur- und besonders Kardenräumen, von Baumwoll- oder Flachsspinnereien (Hechelräumen) oder mit der Zubereitung (z.B. Ausklopfen) von verrotteten Hanfpflanzen (Cannabis sativa) beschäftigt sind. Gelegentlich wird die Byssinose auch in den Spinnereiräumen angetroffen. Der Staub von ungereinigter Rohbaumwolle, Rohflachs oder verrotteten Hanfpflanzen, der durch Inhalation in die tieferen Atemwege und in die Lungen gelangt, enthält verschiedene Pflanzenteile, z.B. Stengel, Blätter und Samenhüllblätter der Baumwollpflanze. Darin konnte ein toxisch wirksames Potential nachgewiesen werden, das möglicherweise von polyphenolischen Gerbsäuren herrührt, die kontrahierend auf die glatte Muskulatur wirken. Die Wirkungsmechanismen sind offenbar nicht bis ins letzte geklärt. Die Gründe für die oft langjährige Latenz zwischen dem Beginn der Exposition und dem Auftreten der Beschwerden scheinen ebenso wenig geklärt.

Am ersten Arbeitstag im Anschluß an eine mindestens 1- bis 2-tägige Arbeitspause (Wochenende, Urlaub) entwickelt sich nach mehrstündiger Staubexposition die sogenannte Montagssymptomatik. Sie besteht in Atemnot, Engegefühl in der Brust bei der Atmung, Hitzegefühl und allgemeiner Abgeschlagenheit. Die Byssinose kennt 3 Stadien. Im 3. Stadium findet sich klinisch und funktionell eine chronische obstruktive Bronchitis, die durch Lungenemphysem und Hypertrophie des rechten Herzens kompliziert sein kann. Die Montagssymptomatik erleichtert zugleich die Abgrenzung gegen das allergische Asthma Bronchiale, BK 4301.

Tip: Denken Sie bei ersten Beschwerden daran, daß Sie bei Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit Anspruch auf Übergangsleistungen haben können, auch wenn sich noch keine dauernde Berufskrankheit in Form der Byssinose eingestellt hat.
Berufskrankheit Nr. 4202

Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Rohbaumwoll-, Rohflachs- oder Rohhanfstaub (Byssinose)
Merkblatt für die ärztliche Untersuchung
(Bek. des BMA v. 16. August 1989, BABI. 11/1989)

Die Byssinose ist eine Bronchial-Lungenerkrankung, die durch die Einatmung von Stäuben mit Pflanzenteilen auf tritt, wie sie bei der Produktion von Textilien aus Rohbaumwolle, Rohflachs oder Rohhanf entstehen. Sie entwickelt sich erst nach mehrjähriger Exposition.

I. Vorkommen und Gefährdung
Gefährdet sind Personen, die in Vorreinigungsbereichen (Mischräumen, Putzereien, Batteur und besonders Kardenräumen) von Baumwoll- oder Flachsspinnereien (Hechelräumen) oder mit der Zubereitung (z. B. Ausklopfen) von verrotteten Hanfpflanzen (Cannabis sativa) beschäftigt sind. Sehr selten wird die Byssinose auch in den Spinnerei-Räumen angetroffen.

II. Pathophysiologie
Der Staub von ungereinigter Rohbaumwolle, Rohflachs oder verrotteten Hanfpflanzen, der durch Inhalation in die tieferen Atemwege und in die Lungen gelangt, enthält verschiedene Pflanzenteile, z. B. Stengel, Blätter und Samenhüllblätter der Baumwollpflanze. Darin, nicht aber in den zu verarbeitenden Fasern selbst, konnte ein toxisch wirksames Potential nachgewiesen werden, das möglicherweise von polyphenolischen Gerbsäuren herrührt, die kontrahierend auf die glatte Muskulatur wirken. Die frühere Vorstellung, daß durch einen pflanzlichen Liberator aus menschlichen Körperzellen ein Vielfaches von genuin enthaltenen kreislauf aktiven Stoffen freigesetzt wird, sofern die Speicher nach Arbeitspausen wieder aufgefüllt worden sind, würde zwar die klinische Symptomatik (Montagssymptomatik) gut erklären, erscheint aber aufgrund unseres heutigen Wissens zu vereinfacht. Eine vermehrte Ausscheidung von Histamin-Metaboliten wurde beispielsweise bei Personen beobachtet, deren respiratorische Sekundenkapazität nach Inhalation von Hanfstaub überdurchschnittlich stark abgenommen hat. Im wässrigen Extrakt von Baumwollstaub hat man nach Elimination mikrobieller Verunreinigungen auch Proteasen und Elastasen gefunden, die möglicherweise bronchokonstriktive Stoffe sowie Kallikrein und Bradykinin aktivieren. In vitro konnte nachgewiesen werden, daß ein Extrakt von Samendeckblättern der Baumwollpflanze Substanzen enthält, die den Stoffwechsel der Arachidonsäure zur Freisetzung von Metaboliten (Leukotrienen, Thromboxan-A2, 5-Hydroxytryptamin) anregen. Auch Endotoxine aus gramnegativen Bakterien im Baumwollstaub werden als Krankheitsursache diskutiert. Eine pathogenetische Bedeutung immunologischer Faktoren war bisher nicht nachweisbar. Die Gründe für die oft langjährige Latenz zwischen Beginn der Exposition und dem Auftreten der Beschwerden sind noch nicht geklärt.

III. Krankheitsbild und Diagnose
Am ersten Arbeitstag im Anschluß an eine mindestens einbis zweitägige Arbeitspause (Wochenende, Urlaub) entwickelt sich nach mehrstündiger Staubexposition die sog. Montagssymptomatik. Sie besteht in Atemnot (Dyspnoe), Engegefühl in der Brust bei der Atmung, Hitzegefühl und allgemeiner Abgeschlagenheit. Sie hält mehrere Stunden nach Arbeitsende noch an. Ein Anstieg der Körpertemperatur ist nicht charakteristisch. Eine funktionsanalytisch nachweisbare Bronchialobstruktion während der Arbeitsschicht ist für Byssinose nicht beweisend. Im Stadium I der Byssinose dauern diese Beschwerden nur den ersten Arbeitstag über an, während sie im Stadium II bis zur Mitte der Arbeitswoche anhalten. Diese beiden Stadien sind nach Wegfall der Exposition reversibel. Im Stadium III, das sich selten und erst nach jahrzehntelanger Exposition aus den vorgehenden Stadien entwickelt, besteht ein unspezifisches chronisch-respiratorisches Syndrom mit anhaltender Kurzatmigkeit, Husten und Auswurf. Klinisch und funktionell findet sich in diesem Stadium eine chronische obstruktive Bronchitis, die durch Lungenemphysem und Hypertrophie des rechten Herzens kompliziert sein kann. Eine für die Byssinose charakteristisches Röntgenbild gibt es ebensowenig wie einen spezifischen Hauttest oder typische immunserologische Befunde. Auch pathologisch-anatomisch findet sich kein krankheitsspezifisches Bild. Der inhalative Provokations-Test mit Baumwollstaub-Extrakten liefert keine differentialdiagnostisch verwertbaren Ergebnisse.

IV. Weitere Hinweise
Wesentliche Voraussetzung ist die gezielte Erhebung der Krankheits- und Arbeitsanamnese. Besondere Beachtung verdient dabei die Schilderung des Beginns der Beschwerden mit der typischen „Montagssymptomatik“. Diese Symptomatik erleichtert zugleich die Abgrenzung gegen das allergische Asthma bronchiale. Im Gegensatz hierzu tritt bei der Byssinose, zumindest in den Frühstadien, auch unter Fortdauer der Exposition im Verlauf der Arbeitswoche eine Verminderung der Beschwerden ein. Chronische Bronchitis, Lungenemphysem und Hypertrophie des rechten Herzens sind häufig anderweitig verursacht. Die Frage des ursächlichen Zusammenhangs mit der spezifischen Exposition ist sorgfältig zu prüfen. Mit einer ständigen Beeinträchtigung der allgemeinen körperlichen Leistungsfähigkeit ist in der Regel erst im Stadium III der Byssinose zu rechnen. Untersuchungen der Atmungs- und der Herz-Kreislauffunktionen, u. a. zum Nachweis restriktiver oder obstruktiver Ventilationsstörungen sowie des chronischen Cor pulmonale, sind erforderlich und bilden im allgemeinen eine ausreichende Grundlage für die Beurteilung.

V. Literatur

  • Bouhuys, A., Barbero, A., Lindell, S.-E., Roach, S. A., Schilling, R. S. F.: Byssinosis in Hemp Workers. Arch. Environ. Health, 14 (1967), 553
  • Committee on Byssinosis: Byssinosis: Clinical and Research Issues. National Academy Press, Washington, D. C., 1982
  • Fruhmann, G., Barth, M., Schmidt, J., Antweiler, H.: Byssinose in Süddeutschland. Münch. Med. Wschr. 11 3 (1971), 209
  • Fruhmann, G.: Pneumokoniosen durch Inhalation organischer Stäube. In: Ulmer, W. T., G. Reiche] (Hrsg.): Pneumokoniosen. Handbuch der Inneren Medizin. Bd. 4/1. Springer, Berlin 1976, 545
  • Fruhmann, G.: Die Byssinose. Kurzfassung des heutigen Erkenntnisstandes. Atemwegs- und Lungekrankheiten, 9 (1983),367
  • Fruhmann, G.: Byssinose. In: J. Konietzko und H. Dupuis (Hrsg.): Handbuch der Arbeitsmedizin, Kap. IV-5.3.1. ecomed. Landsberg-München-Zürich, 1989
  • Woitowitz, H.-J.: Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Rohbaumwoll- oder Flachsstaub (Byssinose). In: H. Valentin, G. Lehnert, H. Petry, G. Weber, H. Wittgens, H.-J. Woitowitz: Arbeitsmedizin, Bd. 2 Berufskrankheiten, 3. Auflage. Thieme, Stuttgart, New York, 1986, 281-285

Merkblatt zur Berufskrankheit Nummer 42021
Quelle: 1 Universität Rostock – Medizinische Fakultät
Institut für Präventivmedizin

Krankheit, die durch die berufliche, versicherte Tätigkeit verursacht worden ist