Durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können
Tip: Kommen Sie beruflich mit chemischen Noxen in Form von Gasen, Dämpfen, Stäuben, Rauchen in Berührung und müssen Sie wegen Atemnotanfällen prophylaktisch die gefährdende Tätigkeit einstellen, haben Sie Anspruch auf Übergangsleistungen (Verdienstausfall für 5 Jahre), selbst wenn eine chronische Berufskrankheit noch nicht entstanden sein sollte.
Gefahrenquellen sind leicht flüchtige organische Arbeitsstoffe, z.B. Acrolein, Äthylenimin, Chlorameisensäureäthyl-ester, Formaldehyd, Phosgen, schwer flüchtige organische Arbeitsstoffe, z. B. einige Härter für Epoxidharze, bestimmte Isocyanate, Maleinsäureanhydrid, Naphthochinon, Phthalsäureanhydrid, p-Phenylendiamin, leicht flüchtige anorganische Arbeitsstoffe, z. B. Nitrose Gase, einige Phosphorchloride, Schwefeldioxid, schwer flüchtige anorganische Arbeitsstoffe, z. B. Persulfat, Zinkchlorid, Beryllium und seine Verbindungen (BK Nr. 1110), Cadmiumoxid (BK-Nr. 1104), Vanadiumpentoxid (BK-Nr. 1107).
Fall: Eine Arbeiterin ist isocyanatbelastet durch noch heiße Matratzenrohlinge aus Schaumstoff und bricht mit Atemnotanfällen am Arbeitsplatz zusammen. Hier fallen Übergangsleistungen an und gegebenenfalls eine Verletztenrente.
Im Vordergrund der Erkrankung stehen akut oder schleichend einsetzende Beschwerden in Form von Husten, Auswurf, Atemnot und vereinzelt Brustschmerzen. Im Mittelpunkt des Krankheitsbildes steht die Atemwegsobstruktion in Verbindung mit einer Lungenüberblähung. Schwere Schäden können verbleiben, die auch nach Expositionsende irreversibel sind. Als Komplikationen treten Bronchopneumonien und das chronische Cor pulmonale auf. Im chronischen Erkrankungsstadium bestehen Beschwerden und Befunde unabhängig von der beruflichen Exposition.
Vorsicht: Es gibt Gutachter, die den beruflichen Zusammenhang verneinen, wenn das Bronchialasthma nach Expositionsende sich nicht bessert oder gar verschlimmert. Hier verwechseln die Gutachter offenbar das allergische mit dem chemisch-toxischen Bronchialasthma.
Ob Provokationstests mit Arbeitsstoffen erforderlich sind und zumutbar, erscheint als heftig umstritten. Liegen die arbeitstechnischen Voraussetzungen vor und das entsprechende Krankheitsbild, braucht der Zusammenhang nur wahrscheinlich zu sein. Ein Strengbeweis darf diesbezüglich nicht gefordert werden.
Fall: Die Formaldehydbelastung einer Krankenschwester kann zu einem beruflichen Bronchialasthma führen.
Bei einem Schädlingsbekämpfer, der infolge dessen schwer erkrankte, ergab sich eine hohe MdE.
Zur Statistik:
Jährlich werden bis zu 2.500 Fälle angezeigt und an die 300 neu berentet.
Berufskrankheit Nr. 4302
(Bek. des BMA vom 10.7.1979 im Bundesarbeitsblatt 7/8/ 1979)
I. Gefahrenquellen
Chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Arbeitsstoffe kommen an zahlreichen Arbeitsplätzen als Inhalationsnoxen vor. Sie sind teilweise mit den früher üblichen Begriffen „Reizstoffe“ oder „Reizgase“ identisch. Die BK Nr. 4302 betrifft jedoch nur durch diese Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen. Bei den nachfolgend beispielhaft aufgeführten Arbeitsstoffen liegen hierüber zum Teil empirischkasuistische Erfahrungen, zum Teil auch epidemiologisch gesicherte Erkenntnisse vor.
Die Noxen können in Form von Gasen, Dämpfen, Stäuben oder Rauchen vorkommen und lassen sich folgendermaßen gruppieren:
- leicht flüchtige organische Arbeitsstoffe: z. B. Acrolein, Athylenimin, Chlorameisensäureäthylester, Formaldehyd, Phosgen;
- schwer flüchtige organische Arbeitsstoffe: z. B. einige Härter für Epoxidharze, bestimmte Isocyanate, Maleinsäureanhydrid, Naphthochinon, Phthalsäureanhydrid, p-Phenylendiamin;
- leicht flüchtige anorganische Arbeitsstoffe: z. B. Nitrose Gase, einige Phosphorchloride, Schwefeldioxid;
- schwer flüchtige anorganische Arbeitsstoffe: z. B. Persulfat, Zinkchlorid, Beryllium und seine Verbindungen (BK Nr. 1110)**), Cadmiumoxid (BK Nr. 1104)**), Vanadiumpentoxid (BK Nr. 1107)**);
Auf zahlreiche weitere in der Literatur genannte Stoffe wird hingewiesen.
*) Vorbemerkung zu Nr. 4301 und 4302 s. M 4301 S. 1.
**) In diesen Fällen hat die BK-Anzeige nach der in der Klammer angegebenen BK-Nr. zu erfolgen.
Im Einzelfall sind Intensität und Dauer der Einwirkung zu berücksichtigen, immer ist aber auch mit der Möglichkeit einer individuellen Empfindlichkeitssteigerung zu rechnen. Bedeutsam ist der zeitliche Zusammenhang zwischen Exposition und Kranheitsbeginn.
II. Pathophysiologie
Die Aufnahme erfolgt fast ausschließlich über das Atemorgan. In Abhängigkeit von Intensität und Dauer der beruflichen Exposition gegenüber chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden Stoffen kommt es lokal zur Irritation sensorischer Rezeptoren und/oder zur primär-toxischen Schleimhautschädigung vorwiegend im Bereich der mittleren und tieferen Atemwege. Diese Wirkungen können reversibel sein. Der Übergang in einen chronisch-obstruktiven Zustand ist aber möglich.
III . Krankheitsbild und Diagnose
Das Reaktionsmuster des broncho-pulmonalen Systems ist trotz der chemischen Verschiedenartigkeit der als Gefahrenquellen bekannt gewordenen Arbeitsstoffe verhältnismäßig einförmig. Im Vordergrund stehen akut oder schleichend einsetzende Beschwerden in Form von Husten, unterschiedlich starkem Auswurf, Atemnot und vereinzelt Brustschmerzen. Reizwirkungen an den Schleimhäuten im Bereich der Augen und des Nasen-Rachenraums werden beobachtet.
Im Mittelpunkt des Krankheitsbildes steht die Atemwegsobstruktion, häufig in Verbindung mit einer Lungenüberblähung. Meist sind auch Atemnebengeräusche auskultierbar. Bei den morphologischen Veränderungen der Bronchialschleimhaut stehen Entzündungszeichen mit Schleimhautschwellung im Vordergrund. Daneben bestehen Hypersekretion, Dyskrinie und Störungen des Selbstreinigungsmechanismus der Atemwege. – Folgende Verlaufsformen lassen sich unterscheiden:
- massive, akute Exposition: akutes Krankheitsbild, Reversibilität;
- massive, akute Exposition: akutes Krankheitsbild, Irreversibilität;
- chronische Exposition: schleichend beginnendes Krankheitsbild, Reversibilität nach Expositionsende;
Mischformen und Sonderverläufe kommen vor. Die Verlaufsform hängt vom Ausmaß der Exposition und der individuellen Reaktionsbereitschaft ab. Eine Anfälligkeit gegenüber viralen und bakteriellen Bronchialinfekten mit verzögerter Heilungstendenz wird beobachtet. Als Komplikationen sind ferner u. a. Bronchopneumonien und das chronische Cor pulmonale zu nennen. Im chronischen Erkrankungsstadium bestehen Beschwerden und Befunde unabhängig von der beruflichen Exposition gegenüber den genannten Arbeitsstoffen.
IV. Weitere Hinweise
Hinsichtlich der Vorgeschichte, der Untersuchungsverfahren und der Beurteilung der broncho-pulmonalen Funktionsstörung einschließlich ihrer kardio-zirkulatorischen Rückwirkung sowie der allgemeinen körperlichen Leistungsfähigkeit gelten die im Merkblatt zu BK Nr. 4301 wiedergegebenen Hinweise sinngemäß.
Die Indikation zur inhalativen Testung ist streng zu stellen. Besondere Erfahrung und eine entsprechende apparative Ausstattung sind hierfür Voraussetzung. Bei einer Vielzahl von Arbeitsstoffen, insbesondere den primär-toxisch wirkenden, ist von Inhalationstests in der Regel abzuraten.
Neben Intensität und Dauer der Einwirkung chemisch-irritativ oder toxisch wirkender Arbeitsstoffe kann eine epidemiologisch-statistische Häufung von obstruktiven Atemwegserkrankungen unter vergleichbaren Kollektiven auf eine tätigkeitsbedingte Verursachung hinweisen. Differentialdiagnostisch müssen obstruktive Atemwegserkrankungen infolge von außerberuflichen Ursachen, wie chronischem Nikotinabusus, Allergien, akuten und chronischen Infektionen der Atemorgane usw. bei der Beurteilung des Kausalzusammenhanges berücksichtigt werden.
Schwierig wird die Beurteilung insbesondere, wenn bei einer vorbestehenden unspezifischen bronchialen Hyperreagibilität und/oder chronisch-obstruktiven Bronchitis aus nichtberuflicher Ursache durch berufliche Exposition gegenüber chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden Stoffen eine obstruktive Atemwegserkrankung entsteht oder sich verschlimmert. Eine unspezifische bronchiale Hyperreagibilität und/oder eine chronisch-obstruktive Bronchitis aus außerberuflicher Ursache und ohne wesentliche Verschlimmerung durch Einwirkung chemisch-irritativ oder toxisch wirkender Arbeitsstoffe fällt nicht unter die BK Nr. 4302 der BeKV.
V. Literatur
- Berufsgenossenschaftliche Grundsätze für Arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen: G 23 Gefährdung durch Inhalation von Allergenen und chemisch-irritativen Stoff en, Fassung Nov. 1974. Hrsg.: Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften e. V., Loseblattausgabe, A. W. Gentner Verlag, Stuttgart.
- Ehrlicher, H.: Reizgasvergiftungen. In: Hb. ges. Arbeitsmed. II/l. Bd. Berufskrankheiten. Urban & Schwarzenberg Verlag, Berlin, München, Wien, 1961, 339-390
- Reichel, G.: Diagnostik und Beurteilung berufsbedingter obstruktiver Atemwegserkrankungen aus toxischer oder chemisch-irritativer Ursache. Arbeitsmed. Sozialmed. Präventivmed. 13 (1978) 270-275
- Thiess, A. M.: Reizgasvergiftungen in der betrieblichen Praxis und ihre Beurteilung. Ärztl. Fortbildung 17: (1970) 368-373
- Ulmer, W. T.: Unspezifische chemisch-physikalische Reize als Ursache von Asthmaanfällen. Schweiz. med. Wschr. 96 (1966) 941-944
- Valentin, H. et al.: Arbeitsmedizin. Ein kurzgefaßtes Lehrbuch für Ärzte und Studenten. 2 Aufl.; Thieme, Stuttgart 1979, S. 304-310
- Woitowitz, H.-J.: Zur Problematik der berufsbedingten, durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffen verursachten obstruktiven Atemwegserkrankungen. In: Berufskrankheiten in der keramischen und Glas-Industrie, H. 29 (1979) S. 34-56
- Woitowitz, H.-J., H. Valentin und H.G. Krieger: Durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen. Praxis Pneumol. … im Druck
- Worth, G. und W. Kersten: Klinik des beruflichen chemischtoxisch bedingten Astma bronchiale. Arbeitsmed. Sozialmed. Präventivmed. 8 (1973) 106-108
Merkblatt zur Berufskrankheit Nummer 43021
Quelle: 1 Universität Rostock – Medizinische Fakultät
Institut für Präventivmedizin